093 - Der Höllengreif
nicht.
»Tony!« rief hinter mir plötzlich Jubilee. »Bitte laß ihn los!«
Sie verlangte es nicht nur, sie griff auch nach meinen Händen und versuchte, sie von dem verstörten Jungen zu lösen. Sie hätte es nicht geschafft, wenn ich es nicht gewollt hätte.
Ich ließ den Jungen los. Jubilee griff nach meiner Hand und zog mich mit sich die Treppe hinauf. Der Junge hatte seinen Schreck noch nicht verdaut, und seine Freundinnen blickten uns auch ziemlich perplex nach.
»Warum hast du das getan, Tony?« fragte Jubilee. Sie hatte streichholzlanges braunes Haar und große dunkle Augen. Sie war siebzehn, und wir kannten ihren Familiennamen nicht. Ihre Eltern lebten irgendwo, und ein Heer von Detektiven bemühte sich, sie zu finden. Jubilee war vor 13 Jahren von einem Dämon entführt worden.
»Der Bursche war vorlaut!« knirschte ich.
»War das ein Grund, ihn gleich so hart anzufassen?«
Nein, natürlich nicht, und ich hätte es auch bestimmt nicht getan, wenn ich ›normal‹ gewesen wäre, aber das schwarze Marbu-Gift, das sich in mir befand, hatte sich wieder einmal bemerkbar gemacht.
»Es wäre nicht dazu gekommen, wenn du pünktlich gewesen wärst«, hielt ich dem jungen Mädchen entgegen. Sie trug einen Jeansoverall, der ihr sehr gut paßte.
»Ich habe einen netten jungen Mann kennengelernt. Wir haben uns verplaudert. Es tut mir leid.«
Wir erreichten den Rover und stiegen ein. Vicky sah an unseren Mienen, daß es irgend etwas gegeben hatte. Sie fragte, was passiert wäre, und Jubilee erzählte es ihr.
Daraufhin warf mir Vicky einen höchst besorgten Blick zu. Sie wußte über das schleichende Marbu-Gift in mir Bescheid. Ich erkannte Mitleid in ihren Augen, doch ich dachte, es nicht zu brauchen.
Immer noch wütend, fuhr ich los.
***
Washington…
»Das Haus ist eine Menschenfalle«, sagte Noel Bannister zu seinen beiden Kollegen. »Angeblich haben in Cahoo Hall schon viele Menschen ihr Leben verloren.«
Bannister war Leiter der neuen CIA-Spezialabteilung, die sich mit Fällen befaßte, die auf Grund ihres mysteriösen Backgrounds eigentlich unlösbar waren.
Geister und Dämonen waren die hauptsächlichsten Feinde dieser kleinen, mutigen Truppe, die Bannister mit Hilfe von Tony Ballard und Mr. Silver aufgestellt hatte.
Bannister war lang, schlank und drahtig. Er hatte sein Haar spleenig grau-weiß gefärbt, und wenn er grinste, entblößte er große, kräftige Zähne.
Die drei CIA-Agenten saßen in einem kleinen Hotelzimmer am Rande von Washington D.C. und bereiteten sich auf ihren Einsatz vor: Sie mußten sich Cahoo Hall ansehen.
»Das letzte Opfer soll ein Penner gewesen sein«, sagte Noel Bannister. »Die Leute reden nicht gern über Cahoo Hall, deshalb gibt es auch kaum etwas Greifbares. Man hat Angst vor diesem alten, schloßähnlichen Haus, um das sich die schaurigsten Geschichten ranken. Die meisten davon werden wahrscheinlich erfunden sein, aber völlig aus der Luft gegriffen scheinen mir die Schauermärchen nicht zu sein. In manchen Nächten sollen aus dem Haus schreckliche Schreie dringen, und auf die Opfer soll das Horrorhaus wie ein Magnet wirken. Es zieht sie an und gibt sie nie mehr frei.«
Über der Stadt hatten sich schwere Gewitterwolken zusammengezogen. Die ersten Blitze flammten auf, und dann prasselten dicke Regentropfen gegen das Fenster.
Sidney Edwards fuhr sich mit den Fingern durch die Dauerwellen. Grinsend meinte er: »Wir haben uns die richtige Geräuschkulisse für unser Unternehmen ausgesucht.«
Ein lauter Donner ließ das Haus vibrieren, und das Licht flackerte kurz.
Auf dem runden Tisch lag eine Skizze. Sie zeigte den Grundriß von Cahoo Hall.
»Der Mann, der dieses Schreckenshaus erbauen ließ, hieß Milton Cahoo«, erzählte Noel Bannister. »Er war ein durch und durch schlechter Mensch, der das Böse verherrlichte und den Teufel anbetete. Er feierte schwarze Messen und brachte dem Höllenfürsten grausige Opfer. Was immer er tat, zielte darauf ab, für immer in Cahoo Hall bleiben zu dürfen, und diesen Wunsch scheint ihm Asmodis eines Tages erfüllt zu haben. Cahoo soll heute ein grausamer Dämon sein, der sich in ein gefährliches Ungeheuer verwandeln kann. Es heißt, daß derjenige verloren ist, der es wagt, sein Haus zu betreten, aber es ist schon gefährlich, auch nur in die Nähe dieses Schreckenshauses zu kommen, denn man kann dabei in einen magischen Sog geraten. Im Moment sind das alles nicht belegte Behauptungen. Unsere Aufgabe ist es,
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