0932 - Grausame Zeit
ich mich.«
Der Henker sagte nichts und trat zur Seite, so daß Buzea die Zelle verlassen und in den Gang hinaustreten konnte. Um diese Zeit war er so gut wie leer, da die meisten Gefangenen ihrer Arbeit nachgingen. Nur zwei ältere Männer waren dabei, den Boden zu wischen. Sie bewegten sich langsam, denn sie hatten Zeit genug, und niemand trieb sie an. Der eine hob den Kopf, als er die beiden Männer hörte. Er sah den Henker, und er sah auch den vor ihm gehenden Buzea. Der Gefangene trat zur Seite und flüsterte: »Mach's gut, Alfons!«
Mehr sagte er nicht. Er hatte in alle den Jahren kein gutes Verhältnis zu seinen Mitgefangenen gehabt. Er war auch im Knast immer ein Einzelgänger gewesen.
Buzea entgegnete: »Ja, danke - werde ich.« Der Weg führe ihn vorbei an den offenen Zellentüren. Buzea schaute nicht mal hinein. Obwohl er sich noch im Zuchthaus befand, hatte er damit bereits abgeschlossen. Es gab wichtigere Dinge zu tun, denn der Kontakt zur anderen Seite war in den letzten Jahren bei ihm noch intensiver geworden.
Das Büro des Direktors lag in einem Nebentrakt, aber auf derselben Etage. Die beiden Männer durchquerten den Sicherheitsbereich, dann wurde eine schwere Tür elektronisch und mit Hilfe einer Codekarte von einem anderen Beamten geöffnet, und schon betraten sie eine andere Welt, zumindest im Vergleich zu der, die hinter Buzea lag.
Eine nüchterne Büroatmosphäre herrschte vor, die sich auch im Vorzimmer des Direktors fortsetzte, wo ein Sekretär dabei war, Akten zu studieren. Der junge Mann schaute auf, als die beiden Besucher das Büro betraten. Sein Blick saugte sich an Buzeas Gesicht fest, aber er schaute schnell wieder zur Seite, da er den kalten Blick nicht ertragen konnte.
»Wir sind angemeldet«, sagte der Henker.
»Ich weiß, der Direktor erwartet Sie.«
»Können wir durchgehen?«
»Ja.«
Buzea hatte noch eine Frage. »Wollt ihr mir keine Handschellen anlegen? Das habt ihr doch sonst so gern getan.«
Cichon schüttelte den Kopf. »Darauf verzichten wir. Ich kann mir nicht vorstellen, daß du dich während der Entlassung zu irgendwelchen Dummheiten hinreißen läßt.«
»Man kann ja nie wissen.«
Der Henker klopfte zweimal an die Bürotür des Direktors, dann öffnete er und ließ Buzea vortreten.
Lautlos näherte der sich dem Stuhl, der vor dem Schreibtisch des Direktors stand. Das Büro war ziemlich geräumig. Gitter gab es keine vor den Fenstern, dafür bestanden die Scheiben aus Panzerglas.
»Nehmen Sie Platz, Herr Buzea.«
»Danke.«
Der Henker blieb an der Tür stehen, als schien er Buzea doch nicht zu trauen.
Direktor Müller war ein Mensch mit gelblicher Gesichtsfarbe, traurigen Augen und einem blassen Oberlippenbart. Er wirkte so, als hätte man ihn in diesen Job hineingepreßt. Da er aber Beamter war, zog er ihn bis zu seiner Pensionierung durch, egal, ob er Magengeschwüre bekam oder nicht.
»Ihre Akte mußt ich Ihnen nicht erst vorlesen, denke ich.«
»Es hegt an Ihnen, Herr Direktor.«
»Sie waren über acht Jahre bei uns, nicht?«
»Stimmt.«
»Und man hat Ihnen keinen Tag geschenkt.«
»Stimmt auch.«
Müller lehnte sich zurück. »Haben Sie einmal darüber nachgedacht, weshalb dies geschah?«
»Immer. Ich hatte ja Zeit genug.« Er lächelte. »Ich habe immer darüber nachgedacht und bin auch zu einem Ergebnis gekommen. In diesem Haus gibt es eben keinen Platz für Individualisten.«
»Genau.«
»Wie kommen Sie dazu?«
»Ich gehörte keiner Bande an. Ich habe kein Heroin verkauft, ich habe keine Raubzüge begangen, und ich habe diese Leute ja als meine Mitgefangenen erlebt. Sie waren Herdentiere, und deshalb hat man ihnen wohl auch Monate oder manchmal Jahre geschenkt.«
Der Direktor ließ sich Zeit mit einer Antwort. »So sehen Sie es, Herr Buzea?«
»Ist das falsch?«
»Bestimmt.« Müller nickte. »Ganz bestimmt sogar, denn ich habe mich mit Ihnen beschäftigt. Natürlich mit den Dingen, die in Ihren Akten standen und dort habe ich genug über Sie herausfinden können. Es stimmt, Sie haben nicht gedealt, sie haben keinen Menschen umgebracht, aber was sie getan haben, war ebenso schlimm. Sie haben sich Kinder geholt, um sie dem Schattenreich oder der Hölle zuzuführen. Sie haben schlimme Dinge getan, und deshalb sind Sie für so lange Zeit hinter Gitter gesetzt worden. Es hat sich inzwischen viel ereignet. Das Deutschland, in das Sie entlassen werden, ist nicht mehr das gleiche wie noch vor acht Jahren. Es gibt die Mauer nicht mehr, es
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