0932 - Grausame Zeit
Er schaute sich in seiner Zelle um, ebenfalls zum letzten Mal. Seine Tasche hatte er bereits gepackt. Viel enthielt sie nicht. Sie hatten ihm seine Zivilkleidung schon einen Tag zuvor gegeben, sie war sogar gereinigt worden.
Die graue Hose, das Hemd, die Jacke im Pfefferund-Salz-Muster. Auch die alten Schuhe, die ihm ebenso paßten wie die Kleidung. Zugenommen hatte er nicht.
Da war die Pritsche. Das Waschbecken. Die Toilette. Das Regal. Der Schrank, dessen Türen offenstanden. Er enthielt keine persönlichen Dinge mehr. Bilder hingen nicht an den dicken Wänden.
Die Zelle mit dem vergitterten Fenster war ihm so vertraut geworden, aber er haßte sie trotzdem. Er haßte die Zelle und das ganze Zuchthaus, und er haßte die Menschen, die darin arbeiteten.
Buzea ging einen Schritt zur Seite, dann noch einen. Er war nicht zu hören gewesen, denn im Laufe der Zeit hatte er es sich angewöhnt, lautlos zu gehen.
Man schlich, man war ruhig, aber man steckte voller Spannung. Er hatte sie bisher unterdrücken können. Sehr bald schon würde sie sich lösen, auch wenn sie ihn beobachteten. Aufhalten konnten sie ihn nicht, das stand fest.
Alfons Buzea war nicht grundlos zur Seite gegangen. Er wollte sich in dem kleinen Spiegel betrachten.
Sein Gesicht malte sich darin ab. Der Kopf mit den kurzen Haaren, die leicht angegraut waren. Ließ er sie länger wachsen, wurden sie noch grauer. Und das mit fünfunddreißig. Scheiß Knast! Die hohe Stirn, die beinahe geraden Augenbrauen, die kantige Nase, der Mund mit den schmalen Lippen. Buzea konzentrierte sich auf seine Augen und mußte lächeln. Wenn er etwas an sich liebte, dann waren es die Augen, die kalten Kugeln, wie er immer sagte. Spiegelbilder der Seele. Aber wenn das stimmte, dann hatte er keine Seele, denn seine Augen zeigten keinen Schimmer Gefühl. Sie waren blaß und ohne Farbe. Sie waren wie hartes Glas.
Er nickte sich zu.
Er war zufrieden.
Dann drehte er sich um, denn ein zweites, ihm sehr bekanntes Geräusch war an seine Ohren gedrungen Jemand hatte von außen einen Schlüssel im Türschloß gedreht.
Jetzt waren sie da.
Buzea machte es ihnen leicht. Er drehte sich wieder und schaute gegen die Tür, die aufgestoßen wurde. Ein flüchtiges Grinsen huschte über seinen Mund, als er sah, daß nur ein Wächter gekommen war. Diesmal hatten sie auf den zweiten verzichtet.
Als Abholer hatten sie ihm den Henker geschickt. Der Mann hieß so, weil er auf seinem linken Arm eine Tätowierung trug, die einen Henker mit seinem Fallbeil zeigte.
Buzea wußte nicht mehr, wie dieser kompakte und breitschultrige Mann wirklich hieß, den Namen hatte er einfach vergessen. Es war ihm auch egal.
Der Henker blieb in der offenen Tür stehen und schaute ihn an. Buzea gab den Blick zurück. Diesmal nicht kalt und hart, sondern leicht spöttisch, denn er wußte, daß es sein Tag war. Er war gespannt, was ihm der Wärter zu sagen hatte.
Sie kannten sich schon lange. Sie waren Feinde, sogar Todfeinde. Der Henker hatte seinem Haß immer freien Lauf gelassen, er hatte dafür gesorgt, daß Buzea die dreckigsten Arbeiten bekam, und der Gefangene hatte sie erledigt - ohne zu klagen. Er wußte genau, was er tun und was er möglichst vermeiden mußte. Schließlich warteten sie nur darauf, seine Strafe zu verlängern. Sich da Gründe einfallen zu lassen, ging leicht.
»Du kannst kommen!« sagte der Henker.
Buzea nickte nur. Er hob seine Stofftasche an und ging auf den Henker zu, der keine Anstalten traf, zur Seite zu weichen, deshalb blieb Buzea stehen.
»Ist noch was?«
»Ja.«
»Dann sag es.«
»Du wirst jetzt freikommen.«
»Das weiß ich.«
»Ich gebe dir einen Rat.«
»Bitte!« Buzea lächelte, weil der Henker schwitzte. Die Entlassung ging ihm an die Nieren.
»Tu es nie wieder! Laß die Kinder in Ruhe! Schaff sie nicht zum Teufel oder wie auch immer. Tu das nicht, Buzea.«
Alfons blieb gelassen. »Sonst noch was?«
»Ja, da wäre noch etwas. Komm nie in meine Nähe, sonst werde ich wirklich zum Henker.«
»In deine bestimmt nicht.«
»Was soll das heißen?«
»Ich kenne nicht mal deinen Namen.«
»Dann sag ich ihn dir jetzt, damit du ihn dir merken kannst. Ich heiße Cichon, Anton Cichon, und vielleicht schreibe ich mal auf deinen Grabstein, daß du durch mich in die Hölle gefahren bist, Buzea.«
»Dazu gehören zwei.«
»Ich weiß.«
Buzea grinste. »Können wir jetzt gehen?«
»Sicher, der Direktor wartet. Er will noch ein paar Worte mit dir reden.«
»Darauf freue
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