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0947 - Geballte Wut

0947 - Geballte Wut

Titel: 0947 - Geballte Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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rasiermesserscharfen Zähnen.
    »Wie, sagten Sie, hieß dieser… Para-Forscher, der kürzlich hier war?«
    Emmelines Frage ließ Thierry kurz zusammenzucken. »Zamorra«, antwortete er leise. »Professor Zamorra.«
    Abermals hallte das statische Rauschen, das aus den Lautsprechern drang, von den weißen Wänden der unterirdischen Station wieder, Echo des Wahnsinns und der drohenden Zerstörung. Zeit lief ab. Niemand brauchte einen Countdown, um das zu merken. Thierry spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten und sein Magen zu einem festen, harten Klumpen zu werden schien. Er schluckte trocken.
    »Kommt der bald wieder?«, fragte Emmeline zaghaft. Die Stimme eines Kindes, das sich im Wald verirrt hatte.
    Thierry Desjardins atmete tief durch, blendete das Geheul der verlorenen Seelen und das Auge des Räubers aus. »Ich hoffe es«, antwortete er dann. »Bei Gott, ich hoffe es!«
    ***
    Es war wie der Gang in LUZIFERs Reich, in dem die Normalität, wie er sie kannte, nicht mehr existierte und das Überleben so unsicher war wie die geistige Unversehrtheit. Ein Balanceakt auf einem Seil der Vernunft und über die Schluchten des Wahnsinns.
    Zamorra und seine drei Begleiter erreichten die Cité just, als die Flammen höher schlugen. Technisches Gerät hatte Funken geschlagen und zu gleich mehreren Brandinseln geführt, die nun nach und nach griffen und verzehrten, wessen immer sie habhaft werden konnten. Es roch nach Rauch, verschmortem Plastik, überhitzten Schaltkreisen und Angst.
    Flackerndes Licht riss die Szenerie zusätzlich aus der unterirdischen Dunkelheit, wann immer eine der verbliebenen Lampen die Oberhand gewann und leuchtete - nie länger als ein paar Sekunden am Stück. Aus versteckten Lautsprechern drangen Geräusche, die kein Lebewesen dieser Erde erzeugen konnte. Anzeigetafeln spielten verrückt, verkündeten Botschaften wie STIRB, FRANZOSE oder LINIE 4 - NÄCHSTER HALT: NIRWANA. Stummer Spott, der seine Wirkung jedoch nicht verfehlte. Selbst Zamorra schluckte beim Anblick des Chaos, in das er und sein Team getreten waren.
    Und mittendrin standen Thierry und eine rothaarige Kollegin. Beide wirkten unsicher, wenngleich sich der stämmige Stationswärter deutlich gefasster gab.
    »Zamorra«, rief er erleichtert. »Wissen Sie, was? Ich gebe Ihnen recht. In allem. Nur machen Sie bitte, dass es aufhört!«
    »Dafür sind wir hier«, erwiderte der Professor grimmig und sah sich um. Weit und breit keine Spur von Anne, dennoch glaubte er keine Sekunde lang, dass Chagnauds Opfer ausgereicht hatte, sie endgültig zu besiegen. Die alte, schwächere Anne zweifellos. Aber dieses neue Furienwesen? Niemals.
    Die Gelegenheit ist günstig , dachte er. Wenn wir schon nicht mit Anne reden können, hört uns vielleicht ihr Energiespeicher zu.
    Was dem Professor vorschwebte, überstieg die Grenzen des Gesunden, Vernünftigen, und näherte sich dem Wahnsinn. Ein mentaler Kontakt zu einer Präsenz, deren Art und Ausmaß er nicht einmal erahnen, geschweige denn bewerten konnte? Das riskant zu nennen, wäre eine himmelschreiende Untertreibung gewesen. Aber er musste es tun - schlimmer noch: Er wollte es.
    Nur so kann ich diesem Rätsel auf den Grund gehen. Und vielleicht beende ich es, bevor es zum Äußersten kommt.
    Abermals trat der Meister des Übersinnlichen vor. Er ignorierte die Flammen, ignorierte den Qualm, ignorierte die fragenden, besorgten Blicke seiner jugendlichen und jugendlich wirkenden Mitstreiter. Vorbei an Thierry und seiner Kollegin, an verschmorten Plastikstühlen und brennenden Mülltonnen - hin zum Emblem der CHAGNAUD CONSTRUCTION. Zu der Stelle, an der Merlins Stern ihn schon einmal auf die Existenz der Macht aus der Tiefe hingewiesen hatte. Damals war Zamorra nicht in der Lage gewesen, hinter ihr Geheimnis zu kommen. Nun, mit Chagnauds Geschichte im Hinterkopf, standen seine Chancen möglicherweise besser.
    »Was haben Sie vor, Professor?«, rief Thierry ihm nach.
    »Das Gleiche wie unser Gegner.« Zamorra grinste verbissen. »Nachzudenken. Mit geballten Fäusten.«
    Dann schloss er die Augen, streckte die Hände vor, berührte die Wand.
    Das Gefühl überstieg seine kühnsten Befürchtungen. Mit geistigen Fühlern kontaktierte Zamorra das Amulett, das er um den Hals trug, steuerte dessen Kraft nach bestem Wissen und ließ sich von und mit ihm lotsen, der Quelle der Energie entgegen, die er so deutlich spürte wie die Hitze der Flammen, die ihn umgaben und schon hungrig nach seiner Kleidung, seinen

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