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0947 - Geballte Wut

0947 - Geballte Wut

Titel: 0947 - Geballte Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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Zorn Platz. So war es immer. Und dann würde abermals die Furie regieren. Daran bestand kein Zweifel.
    »Brauchst du Hilfe?«
    Als Anne aufsah, stand Kathryne vor ihr. Das Gesicht der Schwester war blass und schweißgebadet, doch in ihren Augen lag eine Entschlossenheit, die Anne beneidenswert fand.
    »Du bist schwach, richtig?«, fuhr Kathryne fort. »Du fürchtest dich vor dem, was war, und dem, was kommen wird.«
    Anne nickte schweigend. Die Schuld schnürte ihr die Kehle zu. Tränen stiegen in ihre Augen.
    »Und du suchst Führung, Ordnung«, sprach die Schwester unbeirrt weiter. »Einen Sinn.«
    Zamorra, Rhett und Dylan traten zu ihr, legten ihr Hände auf die Schultern. Gesichter voller Zuversicht. Gesten des Zusammenhalts. Oh, wie sehr sie sich nach einem derartigen Gefühl der Zugehörigkeit sehnte!
    Kathryne schluckte. Ein Kloß schien ihr im Hals zu stecken, doch sie sprach unbeirrt weiter. »Ich kann dir diesen Sinn geben, Anne. Wir alle können das.«
    »W… wie?«
    Nun lächelte die Doppelgängerin. »Indem du dich wieder mit mir vereinst. Lass uns Anka sein, und das Chaos verschwindet. Ich verspreche es.«
    Für einen kurzen Moment war Anne, als sähe sie einen Schatten über Rhetts Züge gleiten. Dann hob sie den Arm - langsam, zitternd - und reichte ihn Kathryne. »Schnell«, wisperte sie. »Bevor… die Wut zurückkommt.«
    Kathryne schien den Tränen nah zu sein. Ihre Stimme blieb fest. »Keine Sorge, Schwester. Alles wird gut.«
    Und im Pariser Untergrund, inmitten einer wahren Armada an Bränden und auf den Gleisen einer zerstörten Metro-Station, wurden Kathryne und Anne wieder zu Anka.
    ***
    Energie entwich.
    Sie kannte keinen Grund dafür, brauchte keinen. Denn sie war . Das allein zählte.
    Sie schoss durch die Luft, ungesehen, ungehört, und ließ die Stadt hinter sich. Vorbei am Louvre, am Eiffelturm, am Totenacker Père Lachaise und den vielen Seine-Brücken. Fort vom Chaos und der Gegenwehr. Unkontrolliert, ungesteuert. Reflex statt Intention.
    Sie war nur ein Bruchteil dessen, was sie kannte. Das Große blieb zurück, schaffte den Durchgang nicht, der für kurze Zeit entstanden war. Es blieb gefangen in seinem Verlies, wie betäubt von der Macht seiner Bewacher.
    Aber auch ein Bruchteil mochte einen Unterschied bewirken.
    Bald…
    Epilog
    Au claire de la lune. Wie sehr er dieses alte Stück liebte. Thierry Desjardins stand auf dem Bahnsteig der Station, deren Vorsteher er einst gewesen war, hatte sich mit dem breiten Rücken an eine der frisch renovierten Wände gelehnt und fiedelte, was das Zeug hielt.
    Menschen flanierten an ihm vorbei, eilten zu den Zügen oder zu den Treppen, die hinauf zu den Sehenswürdigkeiten führten. Nicht wenige von ihnen hielten inne, als sie seiner gewahr wurden, und lächelten. Sie waren froh über die musikalische Überraschung in ihrem Alltag. Sie wussten sie zu schätzen, als einen Teil von Paris. Kultur im Untergrund, im Abseitigen. Klang gewordene Atmosphäre.
    Der schwarze Filzhut, den Thierry am Morgen vor sich auf den Boden gestellt hatte, war schon zu gut einem Drittel mit Münzen gefüllt. Bis zum Abend würden es noch mehr werden. Hier wurden es immer mehr.
    Au clair de la lune, mon ami Pierrot. Prète-moi ta plume, pour écrire un mot.
    Im Geiste sang er den Text mit, dachte sich die Geschichte des Lubin, der des Nachts an Türen klopfte, um sich Schreibmaterial zu erbetteln, und schließlich bei einer Frau landete, die sich sehr über den unerwarteten Besuch freute. So sehr, dass sie ihn gleich dabehielt.
    Au clair de la lune, on n'y voit qu'un peu. On chercha la plume, on chercha dufeu. En cherchant d'la sorteje n'sais c'qu'on trouva. Mais je sais qu'la porte sur eux se ferma.
    Es war absurd, aber irgendwie musste er bei dieser letzten Strophe immer an Rhett und Kathryne, Pardon: an Rhett und Anka denken. Die Liebenden im Gefolge des Dämonenjägers.
    Nun, auch Thierry hatte seine Dämonen zu bezwingen. Das wusste er. Und er bezwang sie Tag für Tag aufs Neue - mit der einzigen Methode, die ihm möglich war. Der einzigen, die ihm gefiel.
    Thierry Desjardins - ehemals Stationsaufseher von Cité und nun heimlicher Beschützer der gesamten Stadt Paris - spielte die Geige, die einst Eric Zann gehört hatte, und war glücklich. Zum ersten Mal in seinem Leben vorbehaltlos glücklich.
    ENDE
    [1] Siehe Professor Zamorra Nr. 934 »Der Schlüssel zur Quelle«
    [2] Siehe Professor Zamorra Nr. 937 »Die Rückkehr des Amuletts«

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