0953 - Der Fluch von Eden
Erdgeschoss.
Auch Nele Großkreutz hatte es gehört. »Es geht wieder los«, sagte sie und streckte die Hand aus, um ihren Schmuck zurückzufordern.
Zamorra gab ihr die Kette.
»Dämonen?«, fragte Nicole.
»Dämonen«, sagte die Greisin. »Es begann wenige Jahre nach Nikolaus' Besuch. Da passierte es zum ersten Mal, dass Menschen in meiner Nähe von Kreaturen heimgesucht und getötet wurden, deren Existenz damals eher akzeptiert wurde als das heutzutage der Fall ist. Aber das rettete auch niemanden, der das Pech hatte, ihnen zu begegnen. Damals konnte ich noch nicht alle Teile des Puzzles zusammensetzen. Aber inzwischen glaube ich, dass es ab dem Moment begann, da ich normalerweise gestorben wäre. Ich meine, wenn ich die Frucht vom Baum des Lebens nicht gegessen hätte.«
Baum des Lebens.
Zamorra stand ruckartig auf. Das Geräusch aus den unteren Regionen wiederholte sich. Es klang nicht, als ob ein Mensch das Haus betreten hätte.
»Wir sollten verschwinden! Madame Großkreutz…«
»Wollen Sie wieder Ihr Amulett zum Einsatz bringen?«, fragte die Unsterbliche.
»Wenn es sein muss.« Er zögerte. »Was wissen Sie darüber? Und wie sind Sie überhaupt auf mich gekommen?«
»Darüber sollten wir später reden. Falls Sie das Risiko auf sich nehmen wollen, das mit meiner Gegenwart verbunden ist - ganz egal, wohin wir von hier aus gehen werden.«
»Ich sehe keine Alternative«, erwiderte Zamorra und meinte es ernst. »Ich bringe Sie in mein Schloss. Dort sind Sie sicher. Dämonen haben Hausverbot.«
»Und sie halten sich daran?«
»Meistens.«
Sie lächelte, als er ihr zuzwinkerte. »Sie werden in die Schlünde zurückkehren, aus denen sie kamen, sobald ich hier weg bin«, sagte sie. »So machen sie es sonst jedenfalls. Die Leute hier, und das werden Sie mir sicher ankreiden, mussten meinen Besuch teuer bezahlen. Aber ich habe mich nur ganz zu Anfang für das geschämt, was ich heraufbeschwöre. Danach habe ich beschlossen, mich niemals irgendwo zu verkriechen. Das wäre kein Leben. Und so bringe ich anderen den Tod, um selbst leben zu können. Egoistisch? Unmoralisch?« Sie nickte. »Auf jeden Fall! Verteufeln Sie mich dafür.«
»Das ist etwas, worüber wir auch später reden können«, sagte Zamorra. »Kommen Sie.« Er reichte ihr die Hand.
»Nein, kommen Sie . Wir gehen auf meine Weise. Wo parken Sie?«
»Vor dem Haus.«
»Gut. Mademoiselle?« Sie forderte auch von Nicole die Hand, die von Zamorra hielt sie bereits fest.
»Was haben Sie vor?«, fragte Nicole.
»Waren Sie jemals ein Geist?«, fragte Nele Großkreutz. »Wenn nicht, wird das jetzt eine ganz neue Erfahrung - und kein Dämon wird auch nur einen Zipfel von uns zu sehen bekommen. Ihr dürft bloß nicht auf die Idee kommen, loszulassen.«
***
Sie erreichten unbehelligt den Landrover, stiegen ein, wendeten und fuhren los.
Unterwegs war Nele wortkarg. Sie schien in ihre eigenen Gedanken vertieft - und Zamorra in seine. Auch Nicole schwieg größtenteils, obwohl ihr sicher tausend Fragen auf der Zunge brannten.
Nach einigen Stunden Fahrt erreichten sie im ersten Morgendämmer Château Montage.
William, der Butler, war per Handy über ihr Eintreffen informiert. Er erwartete sie bereits - mit einer Nachricht, über die er beim Telefonieren noch kein Wort verloren hatte.
»Ihr Bekannter aus England hat angerufen - vor wenigen Minuten. Aus London. Sie wissen schon, Detective Inspector Hogarth.«
»Um diese Zeit?«, fragte Zamorra, während Nicole sich um Nele Großkreutz kümmerte und in eines der Gästezimmer führte, wo sie vielleicht zum ersten Mal seit einer kleinen Ewigkeit wieder ruhig schlafen konnte.
William zuckte mit den Achseln. »Es sei dringend, sagte er. Das ist es immer, oder? Es gehe um einen Baum.«
»Einen Baum ?«, vergewisserte sich Zamorra, richtig gehört zu haben.
»Ja. Es soll im Keller dieses berühmten Museums begonnen haben. Und er soll schon den Boden des Erdgeschosses durchbrochen haben. Monsieur? Monsieur Zamorra? Alles in Ordnung?«
Nein , dachte Zamorra. Wohl eher nicht.
Er bezweifelte nicht, dass William vom Tate Britain sprach. Und das bedeutete, dass die alte Gefahr weder neu erwacht war.
Das Urböse, das im Boden unter dem Museum steckte.
Versagte das Siegel der Halls etwa schon wieder?
Wenn ja, hätte es zu keinem unpassenderen Moment passieren können. Denn da war noch die Frau, die bislang nur einen Bruchteil ihrer Geschichte preisgegeben hatte. Und die immer noch nicht verraten hatte,
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