0959 - Der Loower und das Auge
Pankha-Skrin wußte nichts über die Richtlinien, nach denen Laire sein Urteil fällte.
Laire hatte nur zwei Möglichkeiten zur Wahl: Entweder vernichtete er sich selbst und das Auge. Darunter hätten Terraner, Loower und die Vertreter anderer Völker zu leiden gehabt. Trotzdem wäre es zu einer solchen Vernichtung gekommen, hätten nicht einige Wesen in Laires Umgebung die Anforderungen erfüllt, die dieses besondere Gesetz erhob. Oder er machte sich samt seinem Auge aus dem Staub. Aber auch damit hätte er zumindest gegen das Gesetz verstoßen, nach dem entwicklungsfähige Intelligenzen geschont werden mußten, denn in der BASIS wäre es unweigerlich zum Kampf gekommen.
Pankha-Skrin war halbwegs überzeugt davon, daß Laire das Auge freiwillig herausgeben würde, sobald ein Antragsteller von der richtigen Art war und die richtigen Argumente vorbrachte.
Auf der BASIS standen einhundert Loower vollen dreizehntausend Terranern gegenüber, ein krasses Mißverhältnis also, das der Quellmeister jedoch zu ignorieren gedachte.
Er hatte beschlossen, daß es die Loower waren, die alle Anforderungen erfüllten. Warum sollten sie es auch nicht sein? Sie waren intelligent und ausdauernd, zielstrebig und notfalls auch unnachgiebig. Sie hatten ein festes Ziel, von dem sie nicht abließen.
Die Terraner dagegen war noch jung und ungestüm, oft unberechenbar. Sie neigten zu Sentimentalitäten, wie man ja schon aus der Tatsache ersehen konnte, daß sie aus rein emotionalen Gründen die Meinung vertraten, Laire als der ursprüngliche Besitzer des Auges müsse dieses Instrument zurückerhalten, ungeachtet all dessen, was in der langen Zeit seit dem Raub geschehen war.
Wenn überhaupt ein Volk den Anforderungen entsprach, die da gestellt wurden, dann waren es die Loower, und Pankha-Skrin war der höchstgestellte Vertreter dieses Volkes.
Sein einziges Problem war jetzt noch, an Laire heranzukommen. Um seine Gesetze wenigstens halbwegs genau zu erkunden, hatte er dem Roboter vieles vorgespielt, und nun mochte Laire ein für allemal die Lust verloren haben, sich mit ihm zu beschäftigen. Pankha-Skrin war davon überzeugt, daß er nur in Laires Nähe zu gelangen brauchte, um diesem den endgültigen Beweis vor Augen zu führen.
Als wollte das Schicksal selbst ihm einen Wink geben, stand Baya Gheröl vor ihm.
*
Pankha-Skrin erschrak zunächst, aber dann fing er sich. Er würde sich nicht mehr von einem Kind aus der Ruhe bringen lassen. Seine Tentakel schnellten fast von selbst nach vorne, er umklammerte das Kind und zog es zu sich heran. Es wehrte sich nicht, schrie nicht einmal und sah PankhaSkrin nur seltsam an.
„Wer bist du?" fragte er unwillkürlich.
„Ich bin Baya Gheröl", antwortete das Kind, und seine Stimme war klar und hell.
Dem Quellmeister fiel es wie Schuppen von den Augen.
Baya Gheröl, die kleine Terranerin, die angeblich gelernt hatte, entelechisch zu denken! Nun, es ließ sich leicht und an Ort und Stelle erproben, wie es damit wirklich stand.
„Weißt du, was ich mit dir vorhabe?"
„Natürlich. Du willst mich als Geisel benutzen. Du willst bis zu Laire vordringen, um ihm das Auge abzunehmen, und ich soll dir als Schlüssel dienen. Du wirst ihm sagen, daß du mich tötest, wenn er nicht mit dir spricht."
Er war beeindruckt von der Art, wie dieses Menschenkind zu ihm sprach. Baya mußte Angst haben. Kein Kind von acht Jahren siebh dem Tod gelassen ins Auge. Wenigstens kannte der Quellmeister keinen. solchen Fall.
Aber Baya zitterte nicht, und ihre Stimme klang völlig ruhig.
„Ich weiß auch, daß du es ernst meinst", fuhr sie fort. „Du hoffst, daß Laire es nicht bis zum Äußersten kommen lassen wird, aber wenn er hart bleibt, wirst du mich umbringen."
Pankha-Skrin wartete regungslos. Er spürte, daß das Mädchen noch etwas zu sagen hatte, und sie fuhr auch wirklich fort: „Du brauchst dich nicht zu ängstigen, Pankha-Skrin. Laire wird auf deine Forderungen eingehen."
Und nach einer kurzen Pause setzte Baya hinzu: „Das Auge wirst du trotzdem nicht bekommen!"
„Sei still!" sagte der Loower heftig. „Du weißt nicht, wovon du redest. Ich will kein Wort mehr hören."
Das Mädchen schien zwischen seinen Greiflappen noch kleiner und schmaler zu werden. Trotzdem hielt er das Kind fest. Er trug Baya vor sich her zum Sichtsprechgerät und tastete Laires Kode-Nummer ein.
Der Roboter schien auf einen solchen Anruf bereits gewartet zu haben. Er blickte kalt und ruhig auf Pankha-Skrin
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