096 - Die Gräfin von Ascot
und es waren schon viele der angesehenen Familien hergekommen, darunter auch ein Graf, dessen junge Gattin sich sehr für Saphire interessierte. Sie besaß eine ganze Reihe von Schmuckstücken, die mit diesen Steinen besetzt waren: Ringe, Nadeln, Armbänder und andere Gegenstände. Sie nahm ihre Juwelen stets auf Reisen mit, obwohl dies ziemlich gefährlich war. Als sie eines Abends eine Party gab, stellte ein Unbekannter eine Leiter an das Fenster ihres Schlafzimmers, brach den Safe auf, der rechts neben ihrem Bett stand, und raubte drei Kassetten mit kostbarem Schmuck. Der Einbrecher wäre unbemerkt entkommen, wenn ihn nicht das Zimmermädchen im Schlafzimmer überrascht hätte. Zuerst sah sie den Mann nicht, und obwohl sie ihn nachher bemerkte, konnte sie nicht viel über sein Aussehen berichten, da er einen schwarzen Seidenstrumpf über das Gesicht gezogen hatte. Sie wollte schon um Hilfe schreien, aber eine Hand legte sich wie eine Eisenklammer auf ihren Mund. Sie las aufregende Kriminalgeschichten und wußte daher auswendig, wie es bei solchen Gelegenheiten herging. Infolgedessen fiel sie auch in Ohnmacht. »Der Mann würgte mich, bis ich die Besinnung verlor!« sagte sie aus.
Inspektor Peas verhörte sie. Er war ein hagerer Mann mit Sommersprossen und kaum vierzig Jahre alt. Er schien noch etwas zu jung für seinen Posten zu sein, denn das Mädchen ärgerte sich über seine Fragen und beklagte sich danach, daß er keine Manieren besäße und sie nicht über den Einbruch selbst befragt, sondern seine Zeit mit nutzlosen Erkundigungen nach ihren Privatverhältnissen vergeudet hätte. Zum Beispiel wollte er wissen, wer ihr Freund sei, welchen Beruf er habe, ob er in Ascot wohne und ob er sie schon einmal in dem Haus besucht habe. »Das Mädchen hat einen absolut anständigen Charakter«, protestierte ihre Herrin ungnädig.
»Ich habe leider die Erfahrung gemacht, daß es kaum Menschen mit anständigem Charakter gibt«, erwiderte Peas gelangweilt. »Jedenfalls nehme ich das als Polizeibeamter zunächst an, bis das Gegenteil bewiesen ist.«
Er war gerade nicht in der besten Stimmung, als er Morlay traf. »Es ist ein ganz gewöhnlicher Wald- und Wieseneinbruch, bei dem der Kerl eine Leiter benützt hat. Das Dienstmädchen ist ebenso dumm wie alle anderen. Die fängt gleich an zu heulen, wenn man sie fragt, ob sie einen Freund hat, mit dem sie öfter mal ausgeht. Wie soll man da vorwärtskommen? Solche Einbrüche werden doch meistens vorher richtig ausbaldowert. Wo haben Sie denn Ihr Auto?«
»In den königlichen Stallungen. Ich wollte es in einer gewöhnlichen Garage unterstellen, aber jemand hat Sie erkannt und mich gefragt: ›Ist Ihr Begleiter nicht der große Kriminalbeamte, Inspektor Peas? Wir können nicht zugeben, daß das Auto seines Freundes bei den Wagen gewöhnlicher Leute steht.‹«
»Lachen Sie, dann lacht die Welt mit Ihnen«, entgegnete Peas selbstzufrieden. »Wenn man meine Fähigkeiten bedenkt, ist es geradezu ein Verbrechen, daß man mich zur Aufklärung eines solchen Falles in die Provinz schickt.«
John Morlay wußte nicht recht, ob Peas alle diese Bemerkungen über seine Tüchtigkeit nur zum Scherz machte, oder ob er sie ernst meinte. Es gab nur zwei Möglichkeiten: entweder mochte man den Inspektor gern, oder man konnte ihn nicht ausstehen. In jedem Fall aber mußte man einen gewissen Humor besitzen, um den Mann ertragen zu können. Und John Morlay hatte diesen Humor.
»Der Fall liegt so einfach, daß ihn ein sechsjähriges Kind verstehen könnte«, sagte Peas verächtlich, während sie zu Morlays Wagen gingen, der in der Garage eines kleinen Hotels stand. »Er mag ja für die Polizeibeamten von Ascot seine Schwierigkeiten haben, aber nicht für einen Mann von meinem Ruf. Es handelt sich um dieselbe Bande, die schon seit Wochen hier in der Gegend die Landhäuser plündert. Es ist wohl nicht nötig, daß ich Ihnen die Sache näher erkläre, Mr. Morlay, denn Sie sind ja kein berufsmäßiger...«
»Übrigens sah ich in der Nachbarschaft einen früheren Sträfling«, unterbrach ihn John und berichtete dann über den Vorfall. Peas hörte ihm zu und schüttelte den Kopf.
»Nein, den kenne ich nicht. Aber wer den Einbruch verübt hat, war sicher kein alter Mann. Ich glaube übrigens, daß der Einbrecher, der die Saphire gestohlen hat, ganz allein arbeitet.«
Peas kannte Ascot sehr gut, wie er seinem Bekannten auf der Rückfahrt nach London erzählte; aber da er stets behauptete, alle
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