0961 - Der Fluch des Kobolds
wir raus?«
»Na dort«, sagte Muriel und wies nach vorn.
»Gut. Und dein Wagen?«
»Steht an der linken Seite. Du hast ihn bisher noch nicht gesehen. Es ist ein alter Golf. Ich hoffe, daß wir es packen.«
»Hast du die Schlüssel?«
»Ja.«
Jane war zufrieden. Im Moment lief alles gut. Ob dies allerdings so bleiben würde, war fraglich.
Beide bewegten sich zügig, weil sie keine Zeit verlieren wollten, aber sie waren trotzdem vorsichtig. Es war immer mit einem Angriff zu rechnen.
Sie hatten die Schatten erlebt. Die waren urplötzlich da, und sie kamen wie aus dem Nichts.
Als Muriel den ehemaligen Wohnraum durchquerte, zuckten ihre Lippen.
Erinnerungen schössen in ihr hoch, die sie kaum verdrängen konnte.
Jane sah, wie der Freundin zumute war, und sie faßte nach ihrer Hand, um Muriel anschließend Mut zu machen. »Es kommt alles zurück, glaub mir. Nichts bleibt so.«
»Glaubst du daran?«
»Warum nicht?«
»Ich kann es nicht, Jane. Was ich hier erlebt habe, das ist einfach zu viel für einen normalen Menschen.« Sie gingen noch zwei Schritte, dann konnten sie durch das Loch in der Mauer laufen und standen nun endgültig im Freien.
Natürlich schauten sie sich um. Sehr scheu sogar, aber zugleich auch gespannt.
Verändert hatte sich hier nichts. Es war möglicherweise auch der falsche Standort, denn Muriels Haus stand am Rand der Ortschaft. Sie schaute mehr auf das freie Feld und sogar hoch bis zum Friedhof, wo die kleine Kapelle noch ihren Standplatz behauptete. Die anderen Häuser waren mehr von der Gegenseite her zu sehen.
»Wir müssen nach links«, flüsterte sie.
Jane ließ Muriel vorgehen. Sie selbst kam sich unsicher vor. Jeder Schritt wurde zu einem Tasten, als hätte sie sich in Neuland vorgewagt.
Schatten zeigten sich nicht. Es war auch nichts zu hören. Keine Hilferufe der Bewohner, kein Einstürzen irgendwelcher Mauern oder Dächer. Über dem Ort lastete eine schon bedrückende Stille, und die Farbe des Himmels hatte sich ebenfalls nicht verändert. Als graue, schraffierte Wand lag sie hoch über ihnen.
Der Wagen stand noch so auf seinem Platz, wie Muriel ihn abgestellt hatte. Aus ihrem Mund löste sich ein leiser Freudenschrei, als sie das sah. Tief atmete sie ein. Muriel drehte den Kopf, um Jane anzuschauen.
»Wenigstens er ist uns geblieben.«
Die Detektivin schaute auf den grünen Golf, auf dem mit roter Farbe das Wort Laubfrosch an die Seitentür gepinselt worden war. »Hast du den Schlüssel?«
»Ja, aber der Wagen ist offen. Hier in Beragh schließt niemand etwas ab. Willst du fahren, Jane?«
»Warum?«
»Ich, ich kann nicht. Ich fühle mich einfach nicht in der Lage. Ich bin zu aufgeregt und ängstlich.«
Jane nickte ihr zu und lächelte dabei. »Okay, gib mir den Schlüssel.« Sie bekam ihn und öffnete die Fahrertür. Muriel stieg an der anderen Seite ein. Sie saß kaum, als ein Schüttelfrost ihren Körper durchfloß und sie noch bleicher wurde.
»Das ist die Angst«, gab sie zu. »Die nackte Angst vor einer Zukunft, die einfach grauenhaft ist.«
»Mach dich nicht noch zusätzlich verrückt, Muriel. Es lohnt sich nicht. Auch wenn es uns beiden schwerfällt, wir müssen jetzt die Nerven behalten.«
»Ja ich weiß.«
Jane startete den Wagen. Der Motor tat sich schwer. Der Anlasser orgelte, und die dabei entstehenden Geräusche gefielen beiden Frauen nicht, weil sie in der Stille so laut klangen, als würden sie am Ende der Ortschaft gehört.
»Es klappt nicht, Jane!« flüsterte Muriel.- Sie saß verkrampft da. Die Hände bildeten Fäuste. Mühsam unterdrückte sie die Panik. Ihre Augen bewegten sich, tanzten immer wieder von der Front-zur Seitenscheibe.
Beim dritten Versuch und bevor der Motor absoff, klappte es. Beiden Frauen rutschte ein großer Stein vom Herzen, und Jane sagte laut: »Das ist der erste Schritt in die Freiheit.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Das hoffe ich.« Sie hatte den ersten Gang eingelegt und fuhr langsam an. Der Wagen war nicht dazu geeignet, quer durch das Gelände zu fahren, sie mußten sich deshalb auf den Straßen halten und waren deshalb auch gut zu sehen.
»Nicht nach links«, flüsterte Muriel. »Wenn du das tust, müssen wir durch den Ort. Fahr in die andere Richtung, da kommen wir schnell weg. Und was dann wird, weiß ich nicht.«
Ich auch nicht, dachte Jane. Wieder fiel ihr John Sinclair ein. Verdammt noch mal, wo blieb er nur? Er und Suko waren schon seit mehr als drei Stunden verschwunden. Es würde nicht mehr lange
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