0961 - Der Fluch des Kobolds
damals das Markenzeichen der vier Tarling-Brüder gewesen.
Muriel hielt die Hände gefaltet und betete. Sie murmelte Reime aus ihrer Kinderzeit, und die Worte schienen ihr sogar Mut zu machen, denn jetzt lag auf ihrem Mund ein Lächeln.
Die Schatten kannten kein Pardon. Die Kühlerhaube wurde von ihnen locker geschluckt. Und sie drängten weiter vor, schoben sich lautlos der Scheibe entgegen und damit in die Nähe der Frauen.
Jane Collins hielt die Augen offen. Sie wollte jedes Detail des Verschwindens mitbekommen. Seltsamerweise war die Furcht aus ihrem Innern verschwunden und hatte einer starken Neugierde Platz geschaffen. Sie war sich sicher, daß sie nicht sterben würde, und plötzlich überkam sie eine große Spannung oder Erwartung.
Die Schatten waren da.
Die Scheibe gab es nicht mehr. Auch das Lenkrad löste sich auf, und dann kamen sie über die beiden Frauen.
Jane verließ sich ganz auf ihre Gefühl. Sie rührte sich nicht, sie merkte nur, wie etwas Kaltes ihren Körper umklammerte und dabei alle Umrisse nachzog wie ein feuchter Riesenwurm.
Vor ihr verschwand die Helligkeit. Graue Farben tanzten vor ihren Augen, nahmen an Tiefe zu und wurden zu einem lichtlosen Schwarz. In dieser Sekunde wußte Jane, daß es die Schatten geschafft hatten, sie völlig zu umfangen, aber sie wunderte sich darüber, daß ihr Gehirn noch funktionierte, denn sie schaffte es auch, normal zu denken. Diesen Vorgang hatten die Schatten nicht beeinträchtigen können.
Jemand zerrte sie weg.
Sie flog, sie schwebte.
Das dunkle Tor, die andere Welt, der andere Geruch. Alles war anders als sonst.
Feuchte Luft, auch warme.
Neben sich hörte sie ein leises Stöhnen, und sie war froh darüber, daß Muriel noch lebte.
Dann öffnete sie die Augen.
Jane Collins sah - und staunte…
***
Blei in den Beinen. Feuer in der Brust, das für die starken Schmerzen verantwortlich war. Jeder Schritt wurde zur Qual, aber der einsame Wanderer biß die Zähne zusammen und setzte seinen Weg fort. Er mußte ihn fortsetzen, um noch etwas retten zu können, denn seinen Partner hatte er bereits verloren.
Ach so, der einsame Wanderer war ich!
Es war ein verfluchter Weg gewesen, und ich wußte nicht, wie viele Kilometer ich bereits zurückgelegt hatte. Es wäre normalerweise kein Problem für mich gewesen, aber in diesem Falle schon.
Ich mußte mich beeilen, um an mein Ziel zu gelangen. Deshalb war ich auch nicht gegangen, sondern gelaufen, und diese lange Strecke zurück nach Beragh, die mit dem Wagen kein Problem war, hatte sich für mich zu einer reinen Marterstrecke entwickelt. Seitenstiche, Herzklopfen, die überlauten klopfenden Geräusche, Echos, die ich in meinem Kopf hörte, und dann die verdammte Schwere in den Beinen.
Trotzdem machte ich weiter, wenn auch nicht so schnell. Zudem war ich einfach zu Beginn viel zu schnell gelaufen. Zwar verfügte ich über eine gute Kondition, aber ich war kein trainierter Jogger und erst recht kein Supermann. Ich hatte gelernt, nie aufzugeben, und auch in diesem Fall zog ich es durch.
Fall! Ja, es war ein Fall, aber was für einer! Es ging dabei um vier ehemalige IRA-Terroristen, die Tarling-Brüder, die auf eine ungewöhnliche Weise ums Leben gekommen waren, denn in ihren Gräbern hatte man keine normalen Leichen mehr gefunden, sondern nur eine grüne Masse. Sie selbst waren als Schatten in der normalen Welt wieder erschienen und hatten die fatale Eigenschaft, alles zu verschlucken, was sich in ihrem Umkreis bewegte.
Sie holten es weg. Ob Menschen wie Suko, ob Autos, Häuser oder anderes. Nichts war vor ihnen sicher, und ich wußte, daß sie in einer unmittelbaren Verbindung zu Aibon standen. Das hatte mir der Rote Ryan berichtet, und er war bei unserem Treffen sehr traurig gewesen, denn durch das Entstehen der Schatten war es seinem Todfeind Guywano gelungen, sich einen Teil der positiven Seite des Landes Aibon einzuverleiben.
Wenn es so weiterging, dann gab es bald nur mehr die böse, die schreckliche Fratze dieses rätselhaften Landes zwischen den Dimensionen.
Ich wußte dies, und der Rote Ryan hatte mir geraten, wieder nach Beragh zurückzukehren, um dort zu retten, was noch zu retten war. Viel Hoffnung hatte ich nicht, aber ich war weiter gelaufen. Kilometer für Kilometer. Nur wenige Pausen hatte ich eingelegt, um mich an dem Bach zu erfrischen, der meinen Weg begleitete.
Leben bedeutet Kampf, und das war mir in der letzten Stunde wieder einmal drastisch vorgeführt worden. Jeder Schritt
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