0970 - Der Werwolf, die Hexe und wir
Fledermaus erkannt, die auf sie zujagte. Aus dem Schwarz stachen zwei weiße, spitze Zähne hervor. In ihrer Länge standen sie in einem völlig unkorrekten Verhältnis zur Größe des Kopfes, und Morgana wollte auf keinen Fall von diesen verdammten Hauern erwischt werden.
Sie ließ los, sackte ab und spürte, bevor noch das Wasser über ihr zusammenschlug, den harten Schlag an der Schulter, als der Rand einer Schwinge sie im letzten Moment noch erwischte…
***
Pfeilschnell schwamm die wieder zu einem Menschen gewordenen Werwölfin dem Grund entgegen. Die ausgestreckten Arme wühlten sich in den Schlamm.
Eine Wolke, noch dunkler als das Wasser, wurde in die Höhe geschwemmt und umhüllt Morgana. Sie dachte nach. Sie preßte dabei den Mund zusammen, bewegte nur ihre Beine.
Kein Blutsauger würde ihr in das Wasser folgen, da war sie im Vorteil.
Nur war sie kein Fisch. Sie mußte wieder auftauchen und Luft holen, und darauf wartete ihr Feind.
Er kreiste dicht über der Oberfläche. Das alles stellte sich Morgana vor.
Der Blutsauger würde sie entdeckten. Vielleicht konnte er sogar sehen, was bei einer normalen Fledermaus nicht der Fall war, denn sie reagierte nur auf Schallreflexionen. Bei einem derartigen Gegner wußte niemand, als was er sich normalerweise zeigte, denn viele zweibeinige und menschlich aussehende Blutsauger konnten sich in riesige Fledermäuse verwandeln. Deshalb mußte sie ihm so gut wie möglich die Sicht nehmen. Noch konnte sie sich für eine Weile in der Tiefe des Wassers halten. Mit beiden Händen rührten sie wieder den Schlamm auf dem Boden auf und produzierte die entsprechenden Wolken, die sich in alle Richtungen ausbreiteten, auch nach oben.
In ihrem Schutz stieg Morgana höher. Dabei schwamm sie sehr langsam, und sie versuchte, direkt in der Nähe des Nachens aufzutauchen, denn dort fand sie Schatten und Deckung.
Der Kopf durchstieß den Wasserspiegel. Wieder riß sie den Mund weit auf. Wie jeder Mensch holte sie Luft. Die Kälte merkte sie jetzt besonders deutlich; sie streifte ihre nackte Haut wie ein Schauer aus Eis, aber darauf achtete Morgana nicht, denn sie ließ sich wieder etwas sinken und veränderte auch leicht ihre liegende Haltung, so daß praktisch nur ihr Gesicht aus dem Wasser schaute, wobei die Wellen auch hin und wieder darüber hinweghuschten, den Mund bedeckten und ihr die Luft zum Atmen nahmen.
Sie wartete. An ihrer linken Schulter spürte sie den harten Widerstand des Nachens. Das rauhe Holz streifte über die Haut, denn das Boot bewegte sich immer wieder mit leichten, schaukelnden Stößen.
Obwohl ihr Blick in die Höhe ging, sie auch den Himmel sah, entdeckte sie ihren Feind nicht.
Natürlich war er nicht verschwunden. Er hatte sich zu einem Nervenkrieg entschlossen, und ein derartiger Vampir wäre für sie auch kein Problem gewesen, hätte sie sich in einer anderen Gestalt, in der der Wölfin gezeigt.
Mit ihren mächtigen Pranken hätte sie ihn in der Luft zerreißen können, so aber mußte sie vorsichtig sein. Als Mensch war sie verwundbarer.
Warten, lauern…
Noch kam er nicht.
Sie hörte auch nichts, weil die Ohren unter Wasser waren. In einer Lage wie ihrer geht das Zeitgefühl verloren. So wußte sie nicht, wie viele Sekunden oder Minuten vergangen waren, als sie sich dazu entschloß, das Heft in die Hand zu nehmen.
Sehr vorsichtig, wobei sie auch ein mögliches Plätschern und Klatschen vermeiden wollte, drückte Morgana ihren Körper hoch, wobei ihr auch der Auftrieb des Wassers half. Sie streckte ihren Arm aus, schleifte dabei an der Außenhaut des Kahns entlang, und es gelang ihr kurz danach, den Rand der Bordwand zu umfassen.
Für die Dauer einiger Sekunden blieb sie in dieser Stellung. Jetzt hätte der Blutsauger angreifen können, aber er tat es nicht. Dafür bewegte sich der Nachen stärker.
Das lag nicht an ihr!
Sie hatte daran nicht gezogen. Es war auch kein stärkerer Wellengang zu spüren gewesen, der Grund mußte ein völlig anderer gewesen sein.
Es lag an ihrem Todfeind. Er hatte sich den besten und raffiniertesten Landeplatz ausgesucht, den sie sich vorstellen konnte.
Das Versteck im Nachen!
Auf einmal wurden ihre Augen kalt wie Glas. Morgana freute sich über das Ergebnis. Auch für sie bedeutete eine erkannte Gefahr nur eine halbe Gefahr. Ob der Feind ihren Griff am Rand mitbekommen hatte, wußte sie nicht. Gehandelt hatte er jedenfalls nicht. Entweder hatte er wirklich nichts gesehen, oder er wartete nur ab.
Morgana
Weitere Kostenlose Bücher