0971 - Ein Galgen für Morgana
auf die Dunkelheit.
Für ihn war sie wie ein Wecker, der stets pünktlich klingelte, um ihm die neue Zeit anzuzeigen.
Der Untote richtete sich auf.
Noch waren seine Bewegungen steif. Aus der Sitzhaltung hervor drückte er sich schwerfällig zur Seite und kroch auf allen vieren zur Leiter. Er prallte gegen die Stufen, klammerte sich aber an den Rändern fest, damit er nicht wieder zu Boden rutschte. Er mußte noch Kräfte sammeln, um die Leiter zu überwinden.
In den nächsten beiden Minuten kletterte er in die Höhe. Seine kalkbleichen Hände umfaßten die seitlichen Längsstreben. Die Füße fanden Halt, und wenig später drückte er mit seinem Kopf die Deckenluke auf, um andere Regionen zu erreichen.
Der Vampir kletterte noch nicht ins Freie. Er befand sich in einem Lagerraum, der mehr einer Rumpelkammer glich. Hier gab es Lebensmittelkonserven, Kleidung, Holz für den Kamin und Werkzeuge. Hier wurden die Dinge gelagert, die später im Geschäft verkauft werden sollten.
Dorthin führte eine schmale Tür.
Der Vampir näherte sich dem Ausgang. Er hatte den größten Teil seiner Kraft zurückgefunden. Er bewegte sich jetzt geschmeidiger, beinahe schon wie ein Mensch.
Geschickt wich er irgendwelchen Hindernissen aus und betrat wenig später den Verkaufsraum.
Der Schreibtisch stand schon zum Greifen nahe vor ihm. Aber er war nicht mehr von seinem Artgenossen besetzt. Der lag am Boden. Vernichtet, endgültig - und nicht mehr in der Lage, einen Tropfen Blut zu schlürfen.
Untote kennen keine Gefühle. Ihnen geht es nur um die Gier und um ihre Existenz. So schob sich der Blutsauger an seinem Artgenossen vorbei, ohne ihn noch zu beachten. Für ihn war der Drang nach Freiheit einfach zu stark geworden. Er durchquerte den Laden. Mit jedem Schritt wuchs seine Sucht nach dem frischen Blut eines Menschen. Zu lange schon hatte er darauf warten müssen.
Wenn sich in seinem Kopf überhaupt so etwas wie eine Erinnerung aufbaute, dann war sie zerrissen worden und huschte nur in Bildfragmenten an ihm vorbei.
An das Menschsein dachte er nicht mehr. Er hatte nur immer ihn gesehen, den gewaltigen Blutsauger mit dem roten D auf der Stirn. Er hatte diese einsame Stelle am See überfallen, er und auch die schöne Frau in ihrem langen Mantel.
Sie hatten sich an ihnen gelabt, an Menschen, die hier im Sommer wohnen wollten.
Blut, nur Blut…
Er öffnete die Tür, um nach draußen zu sehen. Dort war es noch etwas heller, und er zuckte leicht zurück. Das Gesicht mit den tiefliegenden Augen hatte die gesunde Gesichtsfarbe längst verloren.
Es sah grau aus wie alte Asche.
Er roch das Menschenblut…
Es war da. Es war frisch, und er würde es sehr bald bekommen. Der Untote zog die Lippen zurück, so daß die beiden spitzen Vampirzähne zu sehen waren.
Im Schatten, neben der Hüttenwand, blieb er stehen. Auch die Fahrzeuge sah er. Dort aber rührte sich nichts. Da hielt sich kein Opfer auf. Dafür weiter vorn, wo auch die anderen Hütten standen.
Um sie zu sehen, mußte er seinen Kopf nach links drehen.
Da sah er die Gestalt.
Sie drehte ihm den Rücken zu, und sie schaute sich auch nicht um, den sie war dabei, die Umgebung der Hütte zu verlassen. Jetzt hätte die Gier bei diesem Anblick noch stärker in ihm hochsteigen müssen, nur passierte das nicht.
Der Wiedergänger war schon durcheinander und mußte schließlich davon ausgehen, daß die Gestalt vor ihm kein Mensch war, auch wenn sie so aussah. Es fehlte die Aura, er nahm den Geruch seines Blutes nicht wahr, denn da hatte sich nichts verstärkt.
Seltsam…
Aber der Blutgeruch war geblieben…
Er wehte auf ihn zu. Sogar dann noch, als der andere von der Dunkelheit verschluckt worden war.
Es gab noch ein zweites Opfer!
Vielleicht war es Gier, vielleicht war es Freude, aber der Vampir verfiel plötzlich in eine starke Unruhe. Er kratzte mit den Fingernägeln über das Hüttenholz an der Außenwand, und es machte ihm auch nichts aus, daß die Nägel dabei noch weiter abbrachen.
Hier ging es einzig und allein um seine Stärkung.
Mit dem Ellbogen des linken Arms stieß er sich von der Außenwand ab. Der Schwung war groß, er taumelte etwas und hatte große Mühe, auf den Beinen zu bleiben.
Aber er hielt durch und nahm noch einmal Schwung, um sich nach links wenden zu können.
In die Richtung mußte er gehen.
Nichts stützte ihn mehr ab, als, er seine Beine bewegte. Er ging einfach nur weiter. Kopf und Kinn gereckt, sich nach jedem zweiten oder dritten Schritt selbst
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