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0973 - Das verfluchte Volk

0973 - Das verfluchte Volk

Titel: 0973 - Das verfluchte Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Balzer
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störte ein wenig und ließ den einen oder anderen auf dem Empfang die Nase rümpfen.
    Zu meinem Erstaunen konnte sich Humboldt tatsächlich an mich erinnern. »Dörfler, alter Knabe! Was führt Sie denn hierher?«, fragte er leutselig, ganz so, als freue er sich aufrichtig, mich zu sehen.
    Sollte ihn sein generöser Gastgeber tatsächlich nicht davon in Kenntnis gesetzt haben, dass auch noch mit dem Erscheinen eines weniger vom Glück gesegneten Landsmannes zu rechnen sei? Der nur zu dankbar sein würde, etwas von den Brosamen abzubekommen, die die feineren Damen und Herren der Gesellschaft übrig ließen? Doch Humboldt strahlte so gar nichts von der unverhohlenen Verachtung aus, mit der mir die anderen Gäste begegneten. So sehr ich diesen Mann aus der Ferne verabscheue, wenn ich ihm gegenüberstehe, erstaunt mich doch immer wieder sein einnehmendes Wesen. Einige Menschen sind mit ihren Gaben einfach vom Himmel gesegnet.
    Gott, wie ich diesen Kerl hasse!
    Doch dort, in dieser steifen Runde, waren wir beide froh, einen Gesprächspartner gefunden zu haben, der weiß, dass diese Welt mehr Wunder und Schrecken bereithält, als diese satten Geschäftsleute und verlogenen Diplomaten je auch nur ahnen werden.
    Wir hatten uns auf den Balkon zurückgezogen, der einen herrlichen Panoramablick auf Bogotá bot.
    »Es gibt in dieser Welt noch so viel zu entdecken, mein lieber Dörfler«, sagte Humboldt, als die Lichter der Stadt unter uns glitzerten. »Und unsere Leben sind so kurz, dass es nicht mal für einen Bruchteil davon reicht. Es ist wirklich eine Schande.«
    In so einer melancholischen Stimmung hatte ich ihn noch nie erlebt. Vielleicht lag es am Cognac, dem wir inzwischen in nicht geringen Mengen zugesprochen hatten.
    »Ach was, Sie sind doch noch jung, Verehrtester«, sagte ich. Schließlich hatte Humboldt meines Wissens die 30 kaum überschritten. »Ihnen bleibt noch mehr als genug Zeit, um Ihrem Forscherdrang voll und ganz nachzugeben.«
    »Das täuscht, mein Freund«, sage er. »Für jedes Abenteuer, auf das ich mich einlasse, muss ich zehn andere zurückstellen. Wenn ich jedem interessanten Hinweis auf ein lohnendes Forschungsobjekt mit einer Expedition nachginge, käme ich kaum von der Stelle. Doch woher weiß ich, dass nicht gerade der Hinweis, den ich zugunsten einer vielversprechenderen Unternehmung ignoriere, derjenige ist, der mir völlig neue Erkenntnisse, einen ganz neuen Blick auf die Welt ermöglicht hätte?«
    Unvermittelt griff er in seine Rocktasche und zog ein zusammengefaltetes Stück Papier hervor. Neugierig sah ich zu, wie er es vor mir auf der Brüstung ausbreitete. Es war eine vergilbte Karte, die an den Rändern mit seltsamen, heidnisch anmutenden Symbolen und Dämonenfratzen verziert war.
    »Sehen Sie zum Beispiel hier«, sagte er. »Dieses kleine Stückchen Papier hat mir - für ein paar Münzen nur - ein einheimischer Händler höchst fragwürdiger Reputation überlassen. Doch was ist es? Eine dreiste Fälschung - oder der Schlüssel zu unerhörten Wundern, die nur auf ihre Entdeckung warten?«
    Neugierig beugte ich mich über die Karte und versuchte, aus dem Liniengewirr schlau zu werden.
    »Ist das der Rio Caquetá?«
    Humboldt nickte. »Und zwar der Teil, den bisher noch so gut wie kein Weißer betreten hat.«
    »Und was gibt es dort?«
    »Schlangen und Spinnen, vermute ich«, sagte der große Forscher mit einem schiefen Grinsen. »Und den sicheren Tod für denjenigen, der sich dort leichtsinnig in Gefahr begibt.«
    »Ist das alles?«, fragte ich enttäuscht. »Wozu dann diese Karte?«
    »Nun«, sagte Humboldt, »der zwielichtige Händler behauptet, sie zeige den Weg zum Territorium des verfluchten Volkes.«
    »Des was?«, fragte ich konsterniert.
    »Eine Legende, auf die ich auf meinen Reisen immer wieder gestoßen bin. Angeblich lebt irgendwo am Rio Caquetá ein Indianerstamm, der von allen anderen Völkern des Dschungels gefürchtet und gemieden wird. Es heißt, es sei ein Stamm von Zauberern, deren Rituale so blutrünstig und gotteslästerlich sind, dass selbst die Dämonen des Waldes vor ihnen erzittern. Manche behaupten sogar, die Naturgesetze hätten für sie keinerlei Bedeutung, sie könnten allein durch die Kraft ihrer Gedanken Dinge durch die Luft fliegen lassen und hätten Waffen, die alles vernichtende Strahlen erzeugen.«
    »Das klingt unglaublich«, sagte ich fasziniert.
    »Ja«, erwiderte Humboldt und genehmigte sich einen weiteren Schluck Cognac. »Und es ist vermutlich

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