0973 - Das verfluchte Volk
einigen Monaten gefangen hatten. Das Monster hatte in der Arena ein Massaker angerichtet, bevor es von dieser Französin getötet worden war.
Nicole Duval.
Álvarez’ Speichel schmeckte plötzlich nach Galle, als er an die ausländische Schlampe dachte, die ihn vor den Augen seiner Leute gedemütigt und entführt hatte. Angewidert spuckte der alte Patriarch aus. Duval war dafür verantwortlich, dass seine Untergebenen keinen Respekt mehr vor ihm hatten. Und er würde keinen Frieden finden, bevor er sich dafür gerächt hatte.
Die monströsen Kreaturen waren der Grund, warum die Armee wie eine Invasionsmacht in diesen gottverlassenen Teil Kolumbiens eingefallen war und ein riesiges Areal zum Sperrgebiet erklärt hatte. Was waren diese Ausgeburten des Wahnsinns? Außer Kontrolle geratene CIA-Experimente, wie Don Antonio zunächst vermutet hatte? Oder tatsächlich Wesen aus der Hölle, wie Nicole Duval behauptet hatte? Vor einigen Monaten hatte Antonio Álvarez diese Idee noch für absurd gehalten.
Jetzt war er sich da nicht mehr so sicher.
Don Antonio warf seinen gerade mal halb aufgerauchten Zigarillo achtlos zu Boden. Eine für den Dritten Weltkrieg gerüstete Armee. Blutgierige Monster, die dem Delirium eines Säufers im Endstadium entsprungen zu sein schienen. Kein Wunder, dass der einst mächtigste Mann der Region keine Rolle mehr spielte.
Doch damit konnte, damit würde sich Antonio Álvarez nicht abfinden. Er würde sich blutig rächen an allen, die es gewagt hatten, seinen Herrschaftsanspruch infrage zu stellen.
Der alte Mann erging sich so in seinen Rachefantasien, dass er die Bewegung fast nicht bemerkt hätte. Hatte er sich geirrt? Nein, da war sie schon wieder. Jemand - oder etwas - kam direkt auf ihn zu. Wie konnte das sein? Seitdem diese grässlichen Ungetüme den Urwald bevölkerten, hatte der Patriarch die Wachen verdreifacht, Kameras überwachten jeden Winkel des Anwesens.
Und doch kam im Schatten der mächtigen Bäume etwas direkt auf ihn zu. Alles in Álvarez schrie nach Flucht, doch wie in einem Albtraum war er zugleich völlig unfähig, auch nur einen Fuß anzuheben. Er wollte nach seinen Männern rufen, doch seiner Kehle entrang sich nur ein heiseres, fast unhörbares Krächzen.
Unerträglich langsam schälte sich eine Kontur aus der Dunkelheit. Beinahe hätte der Zuckerbaron erleichtert aufgelacht. Es war kein blutgieriges Monstrum, was sich ihm näherte, sondern nur ein Mann. Vermutlich einer der Arbeiter, der sich ins Gebüsch verzogen hatte, um zu dösen oder eine Flasche billigen Fusel zu leeren.
Nur noch wenige Meter trennten den Mann von der schwach beleuchteten Veranda. Sein Gang wirkte unnatürlich steif, aber keineswegs so unsicher wie der eines Betrunkenen.
Ein schwacher Lichtschimmer enthüllte die Kleidung des Unbekannten. Álvarez spürte, wie seine Wirbelsäule vereiste. Das da vor ihm war keiner seiner Tagelöhner. Der Mann trug eine Uniform. Kolumbianisches Militär.
Was zum…
Álvarez’ Gedanken rasten. War es jetzt so weit? Wollte die Armee ihn auch noch aus seinem Haus verjagen? Ihn endgültig zum Gespött des Pöbels machen? Doch warum war der Mann dann allein? Und warum war er kaum bewaffnet? Bis auf das Pistolenholster und ein Messer am Gürtel konnte der Zuckerbaron keine weiteren Waffen entdecken. Kaum die geeignete Ausrüstung, um Álvarez’ Privatarmee in Schach zu halten. In der linken, locker an der Hüfte baumelnden Hand hielt er jedoch etwas, das der alte Mann nicht sofort identifizieren konnte.
War das ein Rosenkranz?
Der Soldat trat endgültig in den Lichtschein der Veranda, und Álvarez keuchte entsetzt auf, als er die großen Brandlöcher in der Uniform des Mannes entdeckte. Doch das war nicht das Schlimmste. Fassungslos starrte der Zuckerbaron auf die pupillenlosen weißen Augen, die ihn zu durchbohren schienen. Tote Augen, denen doch nichts entging.
Der Soldat verzog die Lippen zu einem höhnischen Lächeln. »Guten Abend, Don Antonio. Ich denke, wir sollten uns unterhalten.«
***
Tagebuch von Friedrich Dörfler,
4. September 1801
Ich bin seit einer Stunde von dem Empfang zurück und mir schwirrt noch immer der Kopf. Sollte tatsächlich etwas dran sein an dieser abenteuerlichen Geschichte, die…
Doch der Reihe nach!
Mit Mühe und Not konnte ich Francesca, die aparte Witwe, bei der ich nächtens zuweilen unterkomme, überreden, mir den alten Frack ihres verstorbenen Gatten zu leihen. Er passte leidlich. Nur der Geruch nach Mottenkugeln
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