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0973 - Das verfluchte Volk

0973 - Das verfluchte Volk

Titel: 0973 - Das verfluchte Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Balzer
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mächtiger Schamane«, sagte die Reporterin. Ungläubig starrte der Indianer den hochgewachsenen, dunkelblonden Europäer an. Paula grinste breit. »Ich weiß, es ist schwer zu glauben, aber es stimmt. Der Urwald hat sich in den letzten Monaten verändert, oder?«
    Unschlüssig blickte Rafuema vom einen zum anderen, dann sagte er düster: »Die Welt ist aus dem Gleichgewicht. Das Böse breitet sich aus.«
    »Nicht nur in dem vom Militär abgesperrten Gebiet?«, schaltete sich Nicole ein.
    »Alles ist miteinander verbunden. Die Soldaten können das Böse nicht aufhalten. Es ist längst hier und macht sich alles untertan.«
    »Und genau deshalb müssen wir dahin«, sagte Paula. Sie deutete auf Zamorra. »Dieser Mann kann es aufhalten.«
    Der Witoto sah den Parapsychologen lange schweigend an, dann nickte er »Folgt mir!«
    »War doch keine so schlechte Idee, mich mitzunehmen, oder?«, fragte Paula grinsend.
    »Freu dich nicht zu früh«, erwiderte Nicole. »Das Schlimmste steht uns noch bevor.«
    ***
    Tagebuch von Friedrich Dörfler,
    21. Oktober 1801
    Gerettet! Weiß der Himmel, wie ich es geschafft habe, aber ich sitze tatsächlich in einem Boot, das mich aus dieser Welt des Wahnsinns fortträgt.
    Ich hatte Paco unterschätzt. Sein abenteuerliches Leben in der Wildnis der Städte und des Urwalds hatte ihn tatsächlich mit überlegenen Überlebensinstinkten ausgestattet. Oder vielleicht war es auch einfach nur Zufall, jedenfalls erreichten wir irgendwann tatsächlich den Fluss.
    Wir schnitten von einem Baum zwei große Äste ab, stiegen in den Fluss und ließen uns treiben. Mit dem linken Arm umklammerte ich mein Stück Holz, mit der anderen hielt ich das Bündel mit den Metallstücken und dieses Tagebuch in die Höhe. Wir kamen besser voran als erwartet. Wir hörten weiterhin dieses Nerven zerfetzende Getrommel, und der Gesang schwebte über dem Fluss, als habe er seine Erzeuger weit hinter sich gelassen und suche völlig losgelöst von ihren sterblichen Hüllen nach uns.
    Ein von den Kehlen dieser Wahnsinnigen zur Welt gebrachtes Monstrum auf der Jagd nach Beute. Kann es so etwas geben? Es kann; nach all dem, was ich hier erlebt habe, bin ich mir ganz sicher.
    Doch keiner dieser verdammten Indianer ließ sich am Fluss blicken, und irgendwann wurden sogar die Trommeln und der Gesang leiser.
    Und dann sahen wir ihn.
    Weiß der Henker, wie es diesen Händler mit seinem Boot tatsächlich so weit in das verbotene Gebiet verschlagen hatte. Jedenfalls war er da. Sein Boot lag am Ufer. Er selbst bereitete sich am Feuer eine Mahlzeit zu.
    Niemand kann den Ausdruck des Erstaunens beschreiben, als wir aus dem Wasser stiegen und auf ihn zu wateten. Das Erstaunen verwandelte sich in Entsetzen, als er das riesige Messer in Pacos Faust sah.
    Wir hatten zu viel erlebt, um viel auf christliche Nächstenliebe zu geben. Das Boot war gerade mal groß genug für zwei, die Vorräte reichten möglicherweise nur für einen. Die Entscheidung war klar.
    Bevor der Händler zu seiner Pistole greifen konnte, rammte ihm der Pockennarbige den Dolch bis zum Heft in die Brust. Der Schrei erstickte in einem Gurgeln, als das Blut die Lungen füllte.
    Paco machte sich sofort über das gebratene Stück Fleisch her. Ich griff mir die Pistole des niedergemetzelten Händlers und richtete sie auf meinen Gefährten. Ungläubig sah mich der Pockennarbige an. Ein großer Bissen hing noch halb aus seinem Mund.
    »Warum…?«
    »Nimm es nicht persönlich, mein Freund«, sagte ich. »Aber die Metallstücke, die ich diesen verfluchten Indianern abgenommen habe, sind einfach zu wertvoll. Ich kann nicht riskieren, dass du mir nachts die Kehle durchschneidest, um sie an einen deiner zwielichtigen Kumpels zu verhökern.«
    »Sie haben schnell gelernt, Señor«, sagt Paco. Es klang fast respektvoll.
    »Ich hatte einen guten Lehrer.«
    »Den besten!«
    Ich nickte und drückte ab. Paco starb ohne einen Laut, eine Kämpfernatur bis zum Schluss. Hastig packte ich das Nötigste ins Boot und stieß mich vom Ufer ab.
    Ich paddelte bis zur Erschöpfung und noch ein bisschen länger.
    Jetzt liege ich einfach still da, lasse mich treiben und lausche den Geräuschen des Dschungels. Schon seit Stunden habe ich keine Trommeln und keinen Gesang mehr gehört.
    Am Bug liegt das Bündel mit dem zerbrochenen Metallstück. Obwohl ich es in der Dunkelheit nicht sehen kann, kann ich es doch spüren. Ich fühle mich schwach, kein Wunder nach den übermenschlichen Strapazen der letzten

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