0973 - Das verfluchte Volk
Mitte 20 sein.
»Verzeihen Sie die Unannehmlichkeiten«, sagte der Indianer in fast akzentfreiem Englisch nordamerikanischer Prägung. »Wir sollten uns unterhalten.«
***
Tagebuch von Friedrich Dörfler,
25. Oktober 1801
Immer noch schwach. Sollte ich Bogotá je erreichen, werde ich zwei Monate lang schlafen. Schaffe es immer nur für ein paar Minuten zu paddeln und muss mich dann gleich wieder ausruhen. Der Händler hatte genug Vorräte dabei, doch ich bin sogar zu müde und kraftlos, um zu essen.
Die Dorfbewohner, die Pacos Männer auf dem Hinweg gegen sich aufgebracht haben, haben mich in dem gestohlenen Boot und der Kleidung des Mestizen nicht erkannt. Sonst hätten sie mich vermutlich gleich gelyncht.
Nachts, wenn es kühl wird, presse ich das Bündel mit dem Artefakt an mich. Es wärmt mich. Ich meine das ganz wörtlich. Eine geheimnisvolle Kraft scheint von diesem seltsamen Stück Zauberwerk auszugehen, selbst jetzt, wo es zerbrochen ist. Manchmal glaube ich, das Metall spricht zu mir. Es ist ein geheimnisvolles, fast unhörbares Flüstern, das kurz vor dem Einschlafen an mein Ohr dringt. Doch sobald ich genauer hinhöre, ist es weg.
Habe ich den Verstand verloren? Ich presse das Bündel an mich und weiß, dass es nicht so ist. Ich halte hier etwas in Händen, das die Welt aus den Angeln heben kann.
Ich muss nur noch etwas durchhalten, stärker werden.
Ich bin so schwach…
***
»Nennen Sie mich Jim«, sagte der Hohepriester.
»Jim?«, fragte Zamorra zweifelnd.
Der junge Indianer grinste. »So haben mich meine Kommilitonen in Harvard genannt. Meinen indianischen Namen fanden sie wohl etwas zu… exotisch. Schwer auszusprechen für Außenstehende.«
»Sie meinen für alle, die nicht zum verfluchten Volk gehören?«, warf Nicole ein.
Der junge Indianer lächelte. »Wir bevorzugen die Bezeichnung Krieger der letzten Morgenröte. Aber da waren unsere Nachbarn wohl andere Meinung.«
Sie saßen an einem großen Feuer und aßen Fleisch von einem gegrillten Tier, von dem Zamorra nur hoffen konnte, dass es tatsächlich einst ein Opossum gewesen war. Auch ihr Führer war wieder bei ihnen.
»Rafuema hat für Sie gebürgt«, erklärte Jim. »Wir dachten, Sie stünden auf der Seite der Finsternis.«
»Erstaunlich. Das Gleiche hatten wir von Ihnen angenommen«, sagte Nicole, und Zamorra sah seiner Gefährtin an, dass sie immer noch nicht ganz vom Gegenteil überzeugt war.
Die Krieger hatten ihre Masken abgelegt. Erstaunt hatte der Dämonenjäger registriert, dass viele von ihnen so jung waren wie »Jim«. Es waren sogar einige Frauen darunter. Sollte das das gefürchtete verfluchte Volk sein, das über Jahrhunderte einen ganzen Landstrich in Angst und Schrecken versetzt hatte?
»Sie dürfen nicht die Legende mit der Realität verwechseln. Die Legende hatte vor allem einen Zweck: die Menschen von hier fernzuhalten. Dieser Ort ist infiziert vom absoluten Bösen.«
»So weit waren wir auch schon«, sagte Nicole. »Aber die meisten Menschen der Umgebung machen Sie dafür verantwortlich.«
Jim nickte ernst. »Ich weiß, aber es ist tatsächlich genau umgekehrt. Unsere Vorfahren haben ihre ganze Existenz dem einen Ziel geweiht, das Böse, das diesen Ort beherrscht, in seine Schranken zu weisen und zu verhindern, dass es sich weiter ausbreitet. Diese heilige Aufgabe wurde von Generation zu Generation weitergegeben.«
»Woher kommt dieses Böse? Seit wann ist es hier?«, fragte Zamorra, doch Jim schüttelte den Kopf.
»Ich kann Ihnen nur die Mythen unseres Volkes erzählen. Aber da das Böse sehr real ist, sind vielleicht auch die alten Geschichten mehr als bloße Märchen, die man sich abends am Lagerfeuer erzählt. Einst, als die Welt jung war, lebte der Teufel noch in ihr. Doch eines Tages wurde er vertrieben von Wesen, die noch sehr viel mächtiger waren als er.«
»Mächtiger als der Teufel?«, fragte Paula skeptisch.
»Es ist nur eine Geschichte«, sagte Zamorra rasch, damit Jim fortfuhr.
»Als er aus dieser Welt vertrieben wurde, weinte der Teufel, und diese Tränen wurden im gesamten Kosmos verteilt, wobei sie die unterschiedlichsten Erscheinungsformen annahmen. Manche von ihnen glichen den Dingen aus der Menschenwelt.«
»Und eine landete hier?«, fragte Nicole.
»Nicht ganz. Irgendetwas passierte, eine Art kosmische Katastrophe, die Überlieferungen sind da sehr vage, und eine Träne wurde zerstört. Ein Teil von ihr landete hier, der andere…«
»Wenige Hundert Kilometer von hier«, sagte
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