0975 - Hier wohnt der Tod
daß auch Shao ihre Richtung ändern mußte. Der aufgeplusterte und gewachsene Körper huschte über den Teppichboden hinweg in Richtung Tür. Sie hörte ihn krabbeln. Er schien einen Fluchtweg zu suchen, weil ihm die Nähe der Frau wohl nicht mehr behagte.
Shao ging ihm nach.
Nicht zu schnell und nicht zu langsam. Durchaus zielstrebig. Die erste Furcht war verschwunden. In ihr hatte sich ein starker Widerstandswille aufgebaut. Sie kam sich vor wie eine Frau, der es gelungen war, eine Mauer zu durchbrechen.
Sie lief schneller.
Der Käfer auch.
Seine Größe war ihm jetzt hinderlich. Als kleineres Wesen hätte er schneller und besser ein Versteck finden können. So aber hatte er seine liebe Müh und Not.
Wie ein grauschwarzer Klumpen bewegte er sich hektisch weiter. Mit langen Schritten kam sie immer näher. Das Ziel ließ sie nicht aus den Augen. Ihre Blicke wollten es festnageln. Sie starrte nur den Käfer an, der immer schneller lief und bereits die Schwelle zu Schlafzimmer erreicht hatte, denn er hatte seinen Fluchtweg geändert und war nicht durch den Flur zur Haustür gelaufen.
Da schlug Shao zu.
Es war ein harter und zielsicherer Schlag - dachte sie. Aber so zielsicher war er doch nicht gewesen, denn der Skarabäus hatte bemerkt, was ihm drohte. Als hätte er auf dem Rücken Augen gehabt. Die Drehung und das Ausweichen waren im letzten Augenblick erfolgt, kurz bevor der Hammer ihn hätte voll erwischen können.
Der Schlag fehlte.
Sie hieb den Hammer auf den Boden, so fest, daß sogar eine Delle entstand.
Der Käfer huschte in das Schlafzimmer hinein. Er hatte die Gunst des Augenblicks genutzt. Für Shao brach zwar keine Welt zusammen, aber sie tat das, was sie nicht sehr oft tat.
Sie fluchte.
Ihre Wut und auch die Enttäuschung waren grenzenlos. Sie hätte sich sonstwo hinbeißen können, daß sie es nicht geschafft hatte, den Käfer zu zerschmettern. Zudem hatte sie dieser Fehlschlag Sekunden gekostet, die der Skarabäus nutzte, denn er war in das Schlafzimmer hineingehuscht und rasch unter dem Bett verschwunden.
Shao ärgerte sich noch stärker. Nicht nur wegen des Verschwindens, sie konnte sich durchaus vorstellen, daß das Wachstum des Käfers noch nicht beendet war, und ihr Zorn sorgte für rote Flecken in ihrem Gesicht.
Vorbeizuschlagen, das hatte sie nicht einkalkuliert. Sie sah sich jetzt in die Defensive gedrängt, denn unter das Bett konnte sie sich kaum schieben. Da reichte der Zwischenraum einfach nicht. Auf der anderen Seite würde der Käfer auch nicht so schnell wachsen können, denn soviel Platz hatte er dort nicht.
Wie es war, Shao wollte nicht weiter nachdenken und sich ärgern. Sie mußte das Wesen töten.
Zunächst schaltete sie das große Licht ein. Unter der Decke hing eine helle Schale. Sie gab die Helligkeit ab, die auch den letzten Winkel des Schlafzimmers erreichte. In diesem Fall nutzte es ihr nichts, weil sich der Käfer verkrochen hatte.
Am Rand des Doppelbetts ließ sich Shao auf allen vieren nieder. Sie war sehr vorsichtig und beugte sich auch nicht zu tief nach unten, denn dann wäre ihr Gesicht ungeschützt gewesen.
Mochte das Licht auch noch so hell sein, es reichte nicht bis unter das Bett. Dort herrschte nach wie vor »Finsternis«.
Sie flüsterte einige Worte, die sich wie ein Fluch anhörten. Zu sehen war der Käfer nicht. Zumindest nicht beim ersten Hinschauen. Er hatte sich zu weit zurückgezogen.
Aber die Augen gewöhnten sich an das schummerige Halbdunkel unter dem Bett. Shao konnte das Tier auch hören. Die Geräusche gefielen ihr nicht. Knisternd und schabend, als würde der Chitinkörper zerknacken.
Irgend etwas war mit ihm.
Sie traute sich noch nicht, sich flach auf den Bauch zu legen und unter das Bett zu kriechen. Aber sie stellte fest, daß sich der Käfer in Bewegung befand, obwohl er auf derselben Stelle blieb. Das ließ nur einen Schluß zu.
Er wuchs weiter!
Bei diesem Gedanken spürte Shao schon mehr als ein Kratzen in der Kehle. Sie fragte sich sofort, wie groß dieses Tier letztendlich noch werden würde.
So groß wie ein Mensch? »Der Gedanke daran war wie ein kurzer Feuerstoß, der in ihr hochzuckte. Sie krampfte sich zusammen. Für einen Moment schloß sie die Augen, denn das Bild, das sie sich ausmalte, war einfach schrecklich. Wenn dieser verdammte Käfer wollte, dann würde er sich auch von der niedrigen Höhe des Betts nicht davon abhalten lassen, noch weiter zu wachsen. Sie zog sich wieder zurück und stand auf. Der kalte
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