099 - Der steinerne Gott
vorn. Dorian wollte ihm folgen, doch Unga hielt ihn am Ärmel zurück. „Wir sollten ihn sofort unschädlich machen, Rian", flüsterte er.
Dorian winkte ab. „Noch sind wir aufeinander angewiesen. Und das weiß auch Magnus."
Der Cro Magnon seufzte und schloß sich Dorian an, der sich in die Kanzel begab.
Die beiden Scheinwerferkegel beleuchteten ein zweihundert Meter langes Gletscherfeld, an dessem Ende sich eine breite Felswand erhob.
Gunnarsson betrachtete sie durch ein Fernglas.
„Da!" sagte er auf einmal. „Das ist Grettirs durchlöcherter Stein." Er deutete nach vorn und übergab Dorian den Feldstecher.
Der Dämonenkiller brauchte nicht lange zu suchen, um den Stein mit dem Loch in der Mitte zu finden. Er stand auf der Spitze eines Felsens.
„Wie lange ist es von hier noch bis Torisdalur?" fragte Dorian und übergab das Fernglas an Unga, der jedoch nicht hindurchblickte; er sah im Licht der Scheinwerfer den markanten Stein auch so. „Wenn wir morgen früh sofort aufbrechen, sind wir noch vor dem Mittag am Ziel."
„Wieso so lange warten?" fragte Dorian ungeduldig.
Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie den Tempel des Dreimalgrößten sofort gestürmt. „Nachts würden wir den Zugang ins Tal nicht finden", erwiderte Gunnarsson. „Nein, wir müssen schon das Tageslicht abwarten. Sie werden Ihre vernichtende Niederlage noch früh genug erleben, Dorian."
Unga wirbelte mit einem Wutschrei herum, doch Dorian stellte sich zwischen ihn und den Isländer. „Nur nicht die Nerven verlieren, Unga!" sagte Dorian beschwichtigend.
Unga beruhigte sich, aber seine Augen funkelten vor Wut.
Der Cro Magnon hatte Gunnarsson nie gemocht, aber richtig hassengelernt hatte er ihn wohl erst auf Luguris Burg. Damals hatte der Isländer seine Knochenbrüche absichtlich schlecht verheilen lassen, so daß Unga lange Zeit ein Krüppel gewesen war; das würde er ihm nie verzeihen.
„Treiben Sie es nicht zu weit, Magnus!" warnte Unga.
Der Isländer sah ihn fest an. „Was spielen Sie sich so auf, Unga! Denken Sie daran, was ich gesagt habe. Wenn wir Heymes Trismegistos' Tempel betreten, dann werden wir Gegner sein. Und spätestens dann wird Ihre Freundschaft zu Dorian enden. Denn nur einer von uns darf überleben."
Seinen Worten folgte Schweigen.
Selbst Dorian wurde nachdenklich.
Coco Zamis hatte es nicht länger in London ausgehalten. Schon einen Tag nach Dorians Abflug hatte sie die nächste Maschine nach Island genommen. Sie war von bösen Ahnungen erfüllt, denn noch zu deutlich waren die Geschehnisse vom Vortag in ihrer Erinnerung.
Dorian, noch von den Strapazen des letzten Abenteuers gezeichnet, geschwächt vom Einsatz des Ys-Spiegels, hatte durch Olivaro eine zusätzliche Schlappe erlitten, als dieser ihm aufgezeigt hatte, daß er sich selbst eine falsche Erinnerung an seinen Tod als Michele da Mosto eingeredet hatte.
Das Geplänkel mit den Dämonendienern Luguris knapp vor dem Abflug nahm Coco nicht so tragisch. Viel mehr sorgte sie der psychische Streß, unter dem Dorian stehen mußte. Wie mochte es in ihm aussehen? Wie hatte er Olivaros Eröffnungen verkraftet?
Coco sehnte sich nach ihm und wußte, daß er sie auch brauchte. Deshalb flog sie auf dem schnellsten Weg nach Island.
In Reykjavik angekommen, mietete sie sich am Flugplatz im Hotel Loftleidir ein. Sie rief von ihrem Zimmer sofort das Gehöft von Magnus Gunnarsson an, doch es meldete sich niemand.
Wo war Dorian? Er hatte doch mit ihr ausgemacht, sich bei Gunnarssons Elfenhof mit ihr zu treffen, um ihr seine Entscheidung mitzuteilen.
Wie würde er sich entscheiden? Für sie oder für die Macht? Egal. Sie hatte die Möglichkeit, Dorian auch gegen seinen Willen zu sich zurückzurufen. Sie hatte ihn ohne sein Wissen behext, und wo immer er war und wann immer sie wollte, konnte sie ihn zu sich rufen. Er mußte ihrem Ruf folgen. Doch hoffte sie, daß sie diesen Liebeszauber nicht anwenden mußte. Andererseits würde sie keine Sekunde zögern, es zu tun, wenn Dorian sich nicht von selbst meldete.
Sie versuchte, sich die Zeit im Hotel zu vertreiben, doch sie hielt es auch hier nicht aus.
Ich fahre einfach zu Gunnarssons Anwesen hinaus, sagte sie zu sich selbst, und werde dort auf Dorian warten.
Das war aber nicht ganz einfach. Sie mußte auf der Hut sein, damit die Dämonen sie nicht verfolgen konnten. Zwar spürte sie in ihrer unmittelbaren Nähe nicht die Ausstrahlung von Dämonen, doch das hatte nicht viel zu sagen. Die Ereignisse in
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