0795 - Entführt in die Totenstadt
1. Vorher: Die Entführung des Halbgottes
Constable Prithivi schaute den kleinen Vasu verzückt an. Die Kinderkrankenschwester fragte sich zum wiederholten Mal, wie eine dermaßen unhöfliche und rabiate Persönlichkeit wie Inspektorin Asha Devi einen derart liebenswerten Sohn haben konnte.
Als Asha Devi ihn heute Morgen hier in der Kindertagesstätte des Police Headquarters in New Delhi abgegeben hatte, war für Prithivi ein Wunsch in Erfüllung gegangen. Seit sie Vasu zum ersten Mal gesehen hatte, ging ihr der Kleine nicht mehr aus dem Kopf. Seine Augen schienen so unendlich wach zu sein.
Manchmal kam es ihr vor, als sei der Kleine viel weiter entwickelt, als es seinem Alter entsprach. Als ob er Dinge wüsste und über Fähigkeiten verfügte, die das Korsett seines Kleinkind-Körpers und seines Verstandes sprengen wollten.
Mühsam zwang sie sich, an etwas anderes zu denken. Vasu war nicht das einzige Kind, das sie zu beaufsichtigen hatte, und ihr Aufgabenbereich umfasste mehr, als sich nur um ihre Schützlinge zu kümmern. Leider. Gerne hätte sie wesentlich mehr Zeit in die Betreuung der Babys und Kleinkinder investiert, doch man hatte kürzlich an höherer Stelle beschlossen, ihr eine Menge an Verwaltungsarbeit aufzuhalsen. Sie habe schließlich nicht genug zu tun, hatte sie sich anhören müssen, und man sei kein Wohltätigkeitsverein, sondern…
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen. Was waren das für Geräusche? Aus dem Vorraum, der in den kleinen Aufenthaltsraum der Kindertagesstätte führte, drang Lärm zu ihr herein. Es klang, als ob sich mindestens fünf Personen dort aufhielten und quer durch den Raum stürmten.
Die Tür flog mit einem gewaltigen Krachen auf und einige Polizeiuniformen tragende Männer stürmten in den Raum. Es waren muskulöse Gestalten, deren Gesichter hart geschnittene Züge prägten.
Constable Prithivi erkannte sofort, dass sie es hier nicht mit wirklichen Polizisten zu tun hatte.
Sie hielten Waffen in den Händen, doch dieser zusätzlichen Bedrohung hätte es nicht bedurft. Ihre Körperhaltung drückte eine solche Gewaltbereitschaft aus, dass jede Gegenwehr wir aktiver Selbstmord erschien. Sie starrte die Eindringlinge mit vor Schreck geweiteten Augen an.
Einer von ihnen ergriff das Wort »Geh dort hinten in die Ecke und es wird dir nichts geschehen!« Er sprach mit tiefer, dunkler Stimme, die zu sei nem gnadenlosen äußeren Eindruck passte. Er war ein mindestens zwei Meter großer Hüne, der eine Maschinen pistole in seinen fleischigen Händen hielt.
Prithivi gehorchte. »Was wollt ihr hier?«, stieß sie hervor, innerlich vor Angst bebend. Sie wunderte sich über sich selbst, dass sie die Worte herausbrachte. Sie war keine Heldin, und trotz ihres Dienstes im Hauptquartier der Polizei in New Delhi war sie noch nie in einer auch nur annähernd lebensbedrohenden Situation gewesen.
»Maul halten!«, wurde ihr geantwortet. Sofort verstummte sie und schloss für einen kurzen Moment die Augen.
Der grobschlächtige Typ sah sich im Raum um. Eines der vier anwesenden Kinder hatte zu weinen begonnen, es war ein kleines, nicht einmal ganz einjähriges Mädchen, das kürzlich in einem zwielichtigen Etablissement zurückgelassen worden war, als eine Razzia durchgeführt wurde. Ihr Plärren zerrte an Prithivis angespannten Nerven.
Und nicht nur an ihren. Einer der Eindringlinge richtete eine Waffe auf das hilflose Kind.
Constable Prithivi konnte bei diesem Anblick nicht mehr an sich halten. »Lass das Kind in Ruhe, was immer du hier willst!«, begehrte sie auf. Lieber wollte sie selbst sterben, als dass sie mit ansehen musste, wie dieser Killer das Kleinkind erschoss. Als Kinderkrankenschwester sah sie es als ihre Aufgabe an, den Kleinen zu helfen, und wenn es nur auf diese Art und Weise möglich war, dann sollte es eben so sein.
Der Angesprochene drehte sich zu ihr um und starrte ihr eiskalt in die Augen. »Dir wurde gesagt, das Maul zu halten, Weib.« Der Lauf der Pistole wanderte langsam in die Richtung der zitternd an der Wand kauernden Kinderkrankenschwester, die Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen hatte.
Warum merkte denn niemand, was hier vor sich ging? Immerhin befanden sie sich im Polizei-Hauptquartier! Wie konnten hier irgendwelche Verbrecher unbehelligt herein stürmen? Die Verkleidung als Polizisten konnte doch nur auf zehn Meter Entfernung täuschen…
Hörte denn niemand das Schreien des Kindes und den Lärm? Oder wollte sich niemand, der es zufällig
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