Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1060 - Die Mystikerin

1060 - Die Mystikerin

Titel: 1060 - Die Mystikerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
unbekannte Person hinter dem Fenster aufhielt, obwohl es Unsinn war. Ihr Zimmer lag in der ersten Etage. An der glatten Hauswand konnte so leicht niemand hochklettern.
    Noch immer lehnte sie mit dem Rücken an der Wand und hatte die Beine angezogen. Von draußen hörte sie Geräusche. Schritte auf dem Flur. Die Stimme ihrer dunkelhäutigen Kollegin von nebenan, die einen Kunden auf das Zimmer schleifte. Ginny hörte, wie wenig später die Tür hart zufiel.
    »Scheiße!« flüsterte Ginny. Sie kam sich vor wie ein Tier, das in die Falle gelaufen war. Auf ihrer Haut hatte sich Schweiß abgesetzt. Je mehr Zeit verstrich, desto unruhiger wurde sie, und das schien der oder die Unbekannte auch gemerkt zu haben, denn Ginny hörte die Stimme plötzlich von neuem.
    »Keine Angst, Mädchen. Ich bin in deiner Nähe. Ich werde dich beschützen. Du brauchst dieses Elend nicht mehr lange zu ertragen, das verspreche ich dir.«
    Ginny hatte jedes Wort gehört. Leise, aber trotzdem klar und deutlich war es gesprochen worden. Sie bewegte ihren Kopf. Schaute wieder nach rechts und nach links. Sogar zur Decke ließ sie ihren Blick wandern, ohne allerdings etwas erkennen zu können. Der Unbekannte hielt sich bedeckt.
    Es gab hier keinen Lautsprecher, der Außengeräusche übertragen hätte. Aus der Glotze war die Stimme nicht gekommen. Zudem hatte Ginny den Apparat nicht eingeschaltet. Das gleiche galt für den Videorecorder. Da war nichts zu machen.
    Sie drückte die Zigarette aus und streckte die Beine aus. Wieder suchten die Augen das Objekt. Allmählich wurde ihr unheimlich zumute. Auf dem Rücken lag die kalte Schicht, die Arme waren ebenfalls mit einer Gänsehaut bedeckt, und in der Kehle spürte sie einen harten Druck. Auf dem Boden vor dem Bett zeichnete sich ebenfalls nichts ab. Sie war allein und war es trotzdem nicht.
    »He, wer bist du!« Endlich konnte sich Ginny zu dieser Frage durchringen. Sie war ihr verdammt schwergefallen, doch sie erhielt keine Antwort.
    »Melde dich doch…«
    Auch jetzt bezweifelte sie, eine Antwort zu bekommen. Es war ein Irrtum. Die Stimme war da. »Keine Sorge, ich kümmere mich um dich. Ich bin deine Beschützerin. Ich werde dich vor diesem verfluchten Typen bewahren, Ginny.«
    Ihr Atem stockte. Die Anrede war sehr persönlich gewesen. Sie hatte auch lauter geklungen, als sollte jedes Wort überdeutlich zu verstehen sein.
    Ihr lagen zahlreiche Fragen auf der Zunge, aber sie fand nicht den Mut, sie zu stellen. Die Stimme versagte. Sie konnte nur immer ins Leere schauen, zu mehr war sie nicht fähig.
    Nichts geschah.
    Die Normalität kehrte zurück. Im Zimmer nebenan ging es richtig zur Sache. Die entsprechenden Begleitgeräusche drangen durch die dünne Wand, doch darum kümmerte Ginny sich nicht. Sie konzentrierte sich auf sich selbst und ihre Umgebung – und natürlich auf eine Wiederkehr der verdammten Stimme.
    Verdammt?
    Nein, sie war nicht verdammt. Sie war so weich gewesen, auch so beruhigend, doch Ginny konnte sich einfach nicht beruhigen. Es lag nicht einmal so sehr an der Stimme, sondern daran, daß sie keinen Erklärung dafür fand.
    Gab es Geister? Bisher hatte Ginny nicht daran geglaubt. Mittlerweile war sie dabei, ihre Meinung zu ändern. Es konnte durchaus sein, daß es so etwas gab. Als Kind hatte sie immer an Engel geglaubt, ohne sie jedoch gesehen zu haben. Sie war nur davon überzeugt gewesen, daß Engel existierten und die guten Menschen beschützten, während sie für die schlechten nichts taten.
    Aber konnten Engel sprechen? Ginny wußte es nicht. Sie dachte auch an nichts. Sie wollte sich nicht quälen. Es hatte keinen Sinn, über Dinge nachzudenken, für die sie keine Erklärung fand. Andererseits fielen ihr so viele Dinge ein, die sie mit ihren Kolleginnen zusammen besprochen hatte. Da war oft von Geistern die Rede gewesen, die ihre Hände tatsächlich schützend über einen Menschen hielten. Angefangen von der Geburt und erst mit dem Tod endend.
    Aber wie lief es hier? Ginny konnte sich plötzlich nicht mehr an diese Theorien klammern. Es war etwas anderes, wenn man mit den Kolleginnen darüber redete und theoretisierte, als so etwas tatsächlich in der Praxis zu erleben.
    Es blieb ihr nichts anderes übrig als darauf zu warten, daß die Stimme wieder ertönte. Ginny legte auch den Kopf zurück, um besser die nackte graue Decke abzusuchen, denn alles Gute sollte ja bekanntlich von oben kommen. Zumindest hatte man ihr das als Kind beigebracht. Daran hatte sie immer

Weitere Kostenlose Bücher