1083 - Das Mondschein-Monster
neugierig.«
»Die Sache ist doch einfach. Hier gibt es dieses einsame Haus, es gibt den Wald, der Vollmond steht darüber und läßt seinen Schein fließen. Das alles kommt zusammen, das trifft sich ideal. Es ist das unheimliche Wetter. Ideal für die gefährlichen Vollmondnächte, in denen bei manchen Menschen das Monster durchkommt.«
Ihre Hände bewegten sich mit den Fingerkuppen über die blanke Theke hinweg. Sie ließ gewisse Streifen zurück, die auch so leicht nicht trockneten. »Komisch, John«, sagte sie, »wenn man dich so hört, könnte man glatt meinen, daß die Umgebung des Hauses hier voller Bestien steckt. Oder nicht?«
»Ja, durchaus möglich. Sie können sich auch noch nicht verwandelt haben. Die Nacht ist lang, das hast du gesagt.«
Plötzlich lachte sie auf. »Gut, John, gut. Ein tolles Spiel, das wir miteinander getrieben haben. Wirklich die allererste Sahne, das kann ich dir sagen. Aber ich glaube nicht an Vampire oder Werwölfe. Das sind alte Legenden, die von Schriftstellern aufgenommen und anschließend verarbeitet wurden. Damit kann man Kinder erschrecken, aber keine Erwachsenen. Zumindest mich nicht.«
»Du hast eben einen starken Charakter.«
»Nicht immer.«
»Wie meinst du das?«
»Wenn du willst, kannst du es erleben. Wobei wir wieder beim Vollmond sind. Ich glaube an seine Kraft. Sie steckt in mir. Ich war vorhin draußen und habe ihn so klar und scharf am Himmel stehen sehen, daß mir ganz anders wurde.«
»Der Mond lockte dich nicht?«
Sie zog ein nachdenkliches Gesicht und kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. »Doch, das schon. Er lockte mich, aber es war anders und nicht mit einem Werwolf oder Vampir zu vergleichen. Wenn du willst, kannst du es erleben.«
»Später vielleicht und…«
Eine helle Frauenstimme unterbrach uns. Mir war noch nicht aufgefallen, daß den Raum noch jemand betreten hatte. Die Person hielt sich an der Tür auf, und als ich den Kopf drehte, sah ich eine junge Frau mit dunklen, wallenden Haaren dort stehen. Sie trug ein rotes Kleid mit viel Stoff, der allerdings so raffiniert aus- und angeschnitten war, daß bei jeder Bewegung andere Körperteile enthüllt wurden, weil er in bestimmte Richtungen floß.
Langsam kam die Frau auf die Theke zu und wiederholte ihren ersten Satz. »Ich möchte dich nur kurz sprechen, Giselle.«
»Klar, gern. Worum geht es denn, Tricia?«
»Es ist privat.«
Giselle warf mir einen bedauernden Blick zu. »Du entschuldigst mich für einen Moment, John?«
»Sicher, geh nur.«
»Ach ja.« Sie wies auf die Dunkelhaarige. »Das ist übrigens Tricia. Wir nennen sie manchmal unsere kleine Hexe, und sie ist wirklich super, das sage ich ohne Neid.«
Ich lächelte Tricia an und schaute auch direkt in die Augen hinein. Wie bei Giselle war auch dort alles normal. Die dunklen Pupillen paßten zu ihrem Haar, aber das mußte nichts sagen. Sollte sie bereits zu den Infizierten gehören, dann konnte sich diese Veränderung hinter ihren Augen versteckt halten.
»Hi, Tricia…«
»Gefalle ich dir?«
»Ja.«
»Wir kommen gleich wieder.«
»Ich warte.«
Bevor sie ging, streichelte sie meine Wange und deutete so etwas wie einen Kuß an. Unter ihrem Kleid trug sie nur die nackte Haut, und was ich zu sehen bekam, ließ mich leicht schlucken.
Ich schaute den beiden nach, als sie gingen und blieb allein an der Bar sitzen.
Ja, noch immer allein, und das genau wunderte mich. Ich kam mir vor wie in einer hocherotischen Falle. Da war nach außen hin alles okay, der wahre Schrecken jedoch lauerte im Verborgenen, und ich hoffte, daß er irgendwann hervortrat.
Mein Glas war noch bis zur Hälfte gefüllt. Die Gedanken drehten sich automatisch um das, was ich gehört hatte. Giselle und ich hatten eine sehr interessante Unterhaltung über das Mondlicht geführt.
Im nachhinein dachte ich an zwei Pokerspieler, die gute Karten in der Hand hielten, dem anderen das Blatt aber nicht zeigten, um ihren Vorteil zu wahren.
Was wußte Giselle wirklich über die Kraft des Mondes? War sie mit seinen Ursprüngen vertraut?
War sie über die Existenz des Schattengestalten wie Vampire und Werwölfe informiert? Glaubte sie unter Umständen daran?
Sie hatte es nicht zugegeben, aber ich wußte, daß Vollmondlicht eine besondere Wirkung auf sie ausübte. Vielleicht hatte sie das gleiche hinter sich wie ein gewisser Jeffrey Coogan.
Es gefiel mir nicht, daß ich hier allein war. Die Zeit konnte ich besser nutzen, um mich umzuschauen. Den kleinen Anbau hatte
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