11 - Nie sollst Du vergessen
wonach?
Lynley bat Barbara, die Nachrichten noch einmal abzuspielen, und fragte sich, ob Wileys kaum wahrnehmbare Änderung seiner Haltung - er zog die Arme näher an seinen Körper- eine Schutzhaltung war. Er behielt den Major unverwandt im Auge, während die beiden Männer noch einmal erklärten, dass sie Eugenie Davies sprechen müssten.
Ich muss unbedingt mit dir sprechen, erklärte die eine Stimme. Ich musste noch einmal anrufen.
Wieder dieses Wörtchen muss, das ein Bedürfnis ausdrückte. Wozu war ein Mann fähig, der meinte, dringend etwas ganz Bestimmtes zu brauchen?
Wie würdest du 's mir denn machen, wenn du könntest?
Die Zunge las Feuerladys Frage ohne die gewohnte Genugtuung. Wochenlang waren sie um diesen Moment herumgeschlichen wie zwei Katzen um den heißen Brei, dabei hatte er zu Anfang auf Grund seiner - leider falschen - Einschätzung ihrer Person geglaubt, er würde sie noch vor dem »Sahnehöschen« soweit haben. Da konnte man mal wieder sehen, dass überhaupt nichts darauf zu geben war, wie anzüglich eine im Netz chattete. Anfangs hatte Feuerlady die schärfsten Beschreibungen geliefert, aber die waren schnell fade geworden, als sich der Austausch vom Fantasiefick zwischen Prominenten (ihr Talent, eine heiße Szene zwischen einem lilahaarigen Rockstar und der Monarchin des Landes zu beschreiben, war umwerfend) dem Fantasiefick mit eigener Beteiligung zugewandt hatte. Eine Zeit lang hatte er tatsächlich geglaubt, sie wäre ihm ganz durch die Lappen gegangen, weil er zu früh Druck gemacht und zu viel enthüllt hatte. Er hatte schon mit dem Gedanken gespielt, zur nächsten Kandidatin überzugehen, als Feuerlady doch wieder auf der Cyberbildfläche erschienen war. Sie hatte offensichtlich Bedenkzeit gebraucht. Aber jetzt wusste sie, was sie wollte.
Wie würdest du 's mir denn machen, wenn du könntest?
Er überlegte die Antwort und bemerkte, dass seine Fantasie nicht wie sonst bei der Vorstellung einer persönlichen, wenn auch halb anonymen Begegnung mit einer Cybermieze auf Hochtouren zu arbeiten begann. Das kam wahrscheinlich daher, dass ihm die letzte Begegnung und die Ereignisse, die ihr gefolgt waren, noch nachhingen: die grellen Blinklichter der Polizeifahrzeuge, die Straßensperren, die Beschlagnahme des Porsche, seine eigene Vernehmung durch die Bullen, die ihn wie den Hauptverdächtigen behandelt hatten. Aber er hatte sich gut gehalten. Ja, er hatte das hingekriegt wie ein echter Profi.
Die Bullen rechneten nicht damit, dass einer sich mit ihren Methoden auskannte. Die erwarteten, dass man sofort in die Knie ging, wenn sie anfingen, einen mit Fragen zu bombardieren. Sie glaubten, in seinem Eifer zu beweisen, dass er nichts zu verbergen hatte, würde der brave Bürger sich von ihnen problemlos ins Bockshorn jagen und dahin bringen lassen, wo sie ihn haben wollten. Und tatsächlich trotteten ja die meisten Leute, wenn die Bullen sagten: »Wir haben ein paar Fragen an Sie, hätten Sie was dagegen, mit uns aufs Revier zu kommen?«, brav mit, weil sie sich einbildeten, sie besäßen so was wie Immunität in einem Rechtssystem, das es, wie jeder mit dem geringsten Funken Verstand wusste, erlaubte, den Gutgläubigen in ungefähr fünf Minuten total fertig zu machen.
Die Zunge jedoch war alles andere als gutgläubig. Er machte sich keine Illusionen darüber, was einem blühen konnte, wenn man sich auf Kooperation einließ, weil man naiverweise glaubte, man brauche nur seine Bürgerpflicht zu tun, dann wäre die eigene Harmlosigkeit schon bewiesen. Nichts als Quatsch! Er hatte sofort gewusst, wie der Hase lief, und daher schleunigst seinen Anwalt mobil gemacht, als die Bullen sagten, die Frau auf der Straße hätte seine Adresse bei sich gehabt und sie wurden ihm gern ein paar Fragen stellen.
Jake Azoff hatte es natürlich überhaupt nicht witzig gefunden, um Mitternacht aus dem Bett geholt zu werden, und hatte was von »präsenzpflichtigen Pflichtverteidigern« gemurmelt, die sich gefälligst das Geld verdienen sollten, das Vater Staat ihnen bezahlt. Aber Pitchley dachte nicht daran, seine Zukunft - ganz zu schweigen von seiner Gegenwart - in die Hände eines Pflichtverteidigers zu legen. Gewiss, so ein Rechtsbeistand hätte ihn nichts gekostet, aber er hätte auch keinerlei persönliches Interesse an Pitchleys weiterem Fortkommen gehabt. Bei Azoff, mit dem ihn eine ziemlich komplizierte Beziehung verband, in der es um Aktien, Obligationen, Investmentfonds und dergleichen ging, war
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