1154 - Dämonen-Trauer
erwischt haben musste wie der Schlag mit einem Hammer. Er hatte sich vielleicht zu sehr in Sicherheit gewiegt und musste nun erkennen, dass es jemand gab, der noch stärker war. Natürlich, das Urböse, das Erste überhaupt, und das sich über all die Äonen gehalten hatte.
»Dann sind die ersten Seelen also frei?« fragte ich.
»Ich konnte es nicht verhindern. Ich habe eine zurückholen können und…«
»Aber nicht hier.«
»Nein, weiter entfernt. Es ist ein Ort an der Ostküste. Er heißt Uplees. Aber auch hier ist jemand gewesen, du hast es erlebt, und ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, um sie alle, die schon aus meinem Reich hervorgeholt worden sind, wieder einzufangen. Es ist nicht einfach, denn Luzifer hat Lücken gerissen. Ich spüre es, und ich spüre sogar seine erbarmungslose Kälte…«
So hatte ich den Spuk noch nie erlebt und reden hören. Irrte ich mich, oder sprach aus seinen Worten die nackte Angst?
Angst! Das genau war es. Der Spuk hatte Angst. Furcht davor, den Kampf zu verlieren und Furcht um sein Reich, das bisher wie eine mächtige Festung gewesen war.
Er hatte von einer erbarmungslosen Kälte gesprochen. Als ich darüber nachdachte, hätte ich beinahe gelacht. Er - ausgerechnet er hatte davon geredet! Ein Dämon, der ebenfalls ganz oben stand. Aber ich verstand ihn. Ja, ich wusste Bescheid. Auch ich kannte Luzifer. Ich hatte ihn gesehen. Sein Gesicht, seine Fratze, von der eine Kälte ausging, die mich noch im Nachhinein erschauern ließ.
Ich sprach gegen das Dunkel und auch gegen die beiden roten Löcher darin. »Luzifer hat dir die Seelen geraubt, das weiß ich jetzt. Kannst du sie nicht zurückholen?«
»Nein!«, wisperte es mir entgegen.
»Aber sie sind noch mit dir verbunden?«
»Nicht mehr, wenn Luzifer sie hat. Er ist zu stark. Er hat Eingang gefunden in meine Welt. Er will alles haben. Es soll keine Reiche mehr geben, die nicht unter seiner Kontrolle stehen. Ich spüre ihn, obwohl ich ihn nicht sehe. Er ist immer bei mir. Er lauert im Hintergrund. Sein Ziel wird es sein, mich zu vernichten.«
»Du meinst, er will die Dunkelheit zerstören, die dich und deine Welt ausmacht?«
»So ist es.«
Ich konnte es noch immer kaum glauben. Der Spuk! Ausgerechnet der Spuk war hilflos geworden.
Nein, nicht ganz. Er hatte ja eine Seele wieder zurückgeholt oder zerstört. Das jedenfalls hatte er mir zu verstehen gegeben. Nur gab es in seinem Reich Löcher und Risse, die Luzifer ausgenutzt hatte.
War er schon da?
Mir schoss das Blut in den Kopf, als mir dieser Gedanke kam. Er war auch nicht zu abwegig. Wenn alles stimmte, dann musste das Urböse die Welt des Spuks bereits übernommen haben, und wenn das so war, dann auch ihn. Möglicherweise ließ er den Spuk an der langen Leine laufen. Und wenn er sich die Seelen holte und sie in unsere Welt hineindrückte, dann wussten diese Seelen oder Gestalten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Dann spürten auch sie eine schon menschliche Trauer in sich. Das hatte ich gehört, als das Wesen in der Kutte geheult und so sein Schicksal beklagt hatte.
Der Spuk war mächtig. Das hatte ich in der Vergangenheit sehr oft erlebt. Zwischen uns gab es so etwas wie einen Waffenstillstand, was auch durch die beiden Würfel bedingt war. Wenn es ihn bald nicht mehr gab und Luzifer alles übernommen hatte, war eine gewisse Ordnung auf den Kopf gestellt. Von einem Waffenstillstand konnte dann kaum noch gesprochen werden.
»Und ich soll dir helfen?« fragte ich. »Ich soll mich gegen Luzifer stellen?«
»Du bist sein Feind!«
»Ja, wer ist das nicht?«
»Andere haben es auch erlebt. Bei ihnen wurde die Ordnung ebenfalls zerstört. Denk daran, dass nicht ich dich hergeholt habe, sondern ein anderer. Ein Freund von dir. Er ist ebenfalls alarmiert. Er will es auch nicht hinnehmen, dass die Hölle endgültig gewinnt und mein Reich zerstört. Wenn Luzifer es wirklich schafft, kann es zu einer Invasion kommen. Unzählige Seelen, die durch ihn eine neue Gestalt bekommen, könnten deine Welt überschwemmen. Es wäre fast schon der Untergang, wenn sie einmal ihre Trauer verloren und sich mit der neuen Situation abgefunden haben. Noch steht Luzifer am Anfang. Aber wehe der Zukunft, John Sinclair. Wehe ihr…«
Ich hatte jedes seiner warnenden Worte gut verstanden und sah sie auch nicht als Übertreibung an.
Da war etwas im Umbruch, das uns Menschen auf keinen Fall gut tun konnte.
Auch direkt vor mir und um mich herum. Mir gefiel es nicht, was ich da sah.
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