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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
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Prolog Etwas für den Mund
    Bombay, eine Stadt, die ihre eigene Historie verwischte, indem sie sich einen anderen Namen gab und chirurgisch ein anderes Aussehen, ist Heldin, auch Heroin dieser Geschichte, und da ich es bin, der diese Geschichte erzählt, und du nicht weißt, wer ich bin, lass mich sagen, dass wir zum Wer noch kommen, allerdings nicht jetzt, bleibt uns doch Zeit genug, nichts zu überstürzen, die Lampe anzuknipsen, das Fenster zum Mond zu öffnen und uns einen Augenblick zu gönnen, um von der großen und gebrochenen Stadt zu träumen, denn wenn der geschäftige Tag beginnt, muss ich aufhören, schließlich sind dies Nachtgeschichten, die im Sonnenlicht schwinden wie der Staub von Vampiren, aber warte, steck mich an, damit wir es richtig machen, ja, halt mich still an die Flamme, halt ein, halt, gut, ein gemächlicher Zug für den Anfang, der Rauch sanft in die Lungen gesogen, ja, ach ja, noch ein Zug für die Nase, etwas Süßes für den Mund, so, jetzt können wir beginnen, ganz von vorn, mit jenem ersten Mal bei Rashid, als ich mir den blauen Rauch von der Pfeife ans Blut steppte, ans Auge ans Ich an die blaue Welt dort draußen – und nun kommen wir auch zum Wer, weshalb ich dir sagen kann, dass das Ich, das Ich, das du dir nun vorstellst, ein denkender Jemand, der diese Worte aufschreibt, der die Zeit in logisch chronologische Ordnung bringt, jemand also mit einem übergeordneten Plan, ein Ingenieurgott in der Maschine, nun, dass dieses Ich nicht das Ich ist, das diese Geschichte erzählt, vielmehr ist es das Ich, das erzählt wird, wobei ich an meine erste Pfeife bei Rashid denke, das Gedächtnis nach Bildern durchkämme, einem Gesicht, einem Fetzen Musik oder dem Klang einer Stimme, in dem Versuch, mich zu erinnern, wie sie war, die Vergangenheit, sie zu erinnern, wie ich mich an eine Landschaft erinnern würde oder an das Licht in einem fernen Land, denn eben das ist sie, weder Fiktion noch tote Geschichte, sondern ein Ort, an dem man einst lebte und an den man nicht zurückkehren kann, weshalb ich mir ins Gedächtnis zu rufen versuche, wie es kam, dass ich in New York solchen Ärger hatte und nach Bombay zurückgeschickt wurde, um wieder clean zu werden, wie ich Rashid fand und eines Nachmittags mit einem Taxi durch müllverminte Straßen fuhr, voll mit menschlichem, animalischem Abfall und den Ärmsten der Armen, überall Arme, die in Lumpen verstört durch die Gegend stolperten oder bloß herumstanden und starrten, wobei ich nichts Ungewöhnliches daran fand, dass sie barfuß gingen, dass sie wirkten, als hätten sie sich längst aufgegeben, und ich, ich rauchte eine Pfeife, woraufhin mir den ganzen Tag schlecht war und ich Gewisper hörte in meinem steinernen Schlaf, Gewisper über Pathar Maar, den Steinkiller, der nachts die Stadt patrouillierte, Gewisper, das von den Bedürftigen aufstieg, Gewisper darüber, wie er die Arbeiterbezirke Sion und Koliwada durchstreifte und die Armen im Schlaf umbrachte, sich jenen näherte, die allein schliefen, sich in der Nacht an sie heranschlich und sie tötete, nur wurde niemand darauf aufmerksam, weil seine Opfer ärmer waren als arm, unsichtbare Existenzen waren sie, ohne Namen, Papiere oder Familien, und er tötete sie mit Bedacht, ein halbes Dutzend Männer und Frauen, Gehwegschläfer aus den nördlichen Vororten, wo Abwasserkanäle die Straßen säumen, Schlamm mit ölig grünem Schimmer; das ganze Jahr war er ein Unterweltgewisper, den oberen Klassen unbekannt, bis er in die Schlagzeilen geriet, und ich in meinem Wahn meinte, sein Mitleid und die Angst zu verstehen, meinte, in ihm einen Samariter sehen zu können, den wahren Erlöser der Opfer eines verfehlten Experiments, des sozialistischen Planstaates Indien, jemand, der ihr Elend zu beenden suchte, dieser Pathar Maar, dessen Mission es war, die Armut auszumerzen, so meinte ich, auf dem Rücksitz des Taxis tief in die eigene Armut versunken, ins bombaybraun schattierte Polster gelehnt, während ich den Fahrer bat, langsamer zu fahren, als wir die Frauen passierten, und ich – ehrlich, es ist wahr – das Gesicht der Amme sah, die auf mich aufgepasst hatte, als ich noch klein war, eine dunkle Frau, die freundlich lächelte, wenn ich sie schlug, und ich wusste, sie war es, gestrandet im Sackgassenbezirk, dort, wo die Frauen in Güteklassen eingeteilt und ausgepreist werden, zur Schau gestellt in sämtlichen Straßen, in allen Gossen und Häusern, Frauen aus dem fernen Norden, aus dem Süden,

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