12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
geworden war.
Mittlerweile war der Sandal in gleiche Linie mit uns gekommen. Der Kapitän desselben, ein alter, langer, sehr hagerer Mann mit einer Reiherfeder auf dem Tarbusch, trat an die Bordung und fragte herüber:
„Ho, Dahabïe, welcher Reïs?“
Ich neigte mich vor und antwortete:
„Reïs Hassan.“
„Hassan Abu el Reïsahn?“
„Ja.“
„Schön, kenne ihn“, antwortete er mit schadenfroher Miene. „Ihr habt ein Weib an Bord?“
„Ja.“
„Gebt es heraus!“
„Chalid Ben Mustapha, du bist verrückt!“
„Wird sich finden. Wir werden an euch anlegen.“
„Das werden wir verhindern.“
„Wie willst du dies anfangen?“
„Das will ich dir sofort zeigen. Merke auf die Feder an deinem Tarbusch!“
Ich erhob sehr schnell die Büchse, welche ich, ohne daß er sie gesehen hatte, bereit gehalten hatte, zielte und drückte los. Die Feder flog herab. Selbst das entsetzlichste Unglück hätte den würdigen Ben Mustapha nicht so in Aufregung versetzen können, wie dieser Warnungsschuß. Er fuhr so hoch in die Luft, als beständen seine hageren Gliedmaßen aus elastischem Gummi, hielt sich den Kopf mit beiden Händen und floh hinter den Mast.
„Jetzt weißt du, wie ich schieße, Ben Mustapha“, rief ich hinüber. „Wenn dein Sandal noch eine einzige Minute bei uns backseits fährt, so schieße ich dir nicht die Feder vom Tarbusch, sondern die Seele aus dem Leib; darauf kannst du dich verlassen!“
Diese Drohung hatte eine augenblickliche Wirkung. Er eilte an das Steuer, riß es aus den Händen dessen, der es bisher regiert hatte, und drehte ab. In zwei Minuten befand sich der Sandal in einer solchen Entfernung von uns, daß ihn meine Kugel nicht erreichen konnte.
„Jetzt sind wir für den Augenblick sicher“, meinte ich.
„Er wird nicht wieder so nahe kommen“, stimmte Hassan bei; „aber er wird uns auch nicht aus dem Augen lassen, bis wir irgendwo an das Ufer legen, wo er die Hilfe des Gesetzes in Anspruch nehmen wird. Die fürchte ich freilich nicht; aber ich fürchte etwas anderes.“
„Was?“
„Das da!“
Er deutete mit der Hand hinaus auf das Wasser, und wir verstanden sogleich, was er meinte.
Schon seit einiger Zeit hatten wir bemerkt, daß die Wogen mit größerer Gewalt und Schnelligkeit vorwärts strebten als vorher und die jetzt felsig gewordenen Ufer einander immer näher traten. Wir näherten uns nämlich einer jener Stromschnellen, welche, mehr oder weniger gefahrdrohend für den Schiffer, dem Verkehr auf dem Nil fast unüberwindliche Hindernisse entgegenstellen. Jetzt mußte die Feindschaft der Menschen schweigen, damit sich die ungeteilte Aufmerksamkeit aller auf das drohende Element richten konnte. Die Stimme des Reïs tönte laut schallend über das Deck:
„Blickt auf, ihr Männer, der Schellahl kommt, der Katarakt! Tretet zusammen und betet die heilige Fatcha!“
Die Leute folgten seinem Gebot und begannen:
„Behüte uns, o Herr, vor dem von dir gesteinigten Teufel!“
„Im Namen des Allbarmherzigen!“ intonierte der Reïs.
Darauf fielen die anderen ein und beteten die Fatcha, die erste Sure des Koran.
Ich muß gestehen, daß dieses Gebet auch mich ergriff, aber nicht aus Furcht vor der Gefahr, sondern aus Ehrfurcht vor der tief im Herzen wurzelnden Religiosität dieser halbwilden Menschen, welche nichts tun und beginnen, ohne sich dessen zu erinnern, der in dem Schwachen mächtig ist.
„Wohlan; ihr jungen Männer, ihr mutigen Helden, geht an eure Plätze“, gebot nun der Führer; „der Strom hat uns ergriffen.“
Das Kommando eines Nilschiffes läuft nicht so ruhig und exakt ab, wie die Führung eines europäischen Fahrzeuges. Das heiße Blut des Südens rollt durch die Adern und treibt in der Gefahr den Menschen von dem Extrem der ausschweifendsten Hoffnung herab auf dasjenige der tiefsten Niedergeschlagenheit und Verzweiflung. Alles schreit, ruft, brüllt, heult, betet oder flucht im Augenblick der Gefahr, um im nächsten Moment, wenn diese Gefahr vorübergegangen ist, noch lauter zu jubeln, zu pfeifen, zu singen und zu jauchzen. Dabei arbeitet ein jeder mit Anspannung aller seiner Kräfte, und der Schiffsführer springt von einem zum anderen, um jeden anzufeuern, tadelt die Säumigen in Ausdrücken, wie sie nur ein Araber sich auszusinnen vermag, und belohnt die anderen mit den süßesten, zärtlichsten Namen, unter denen sich das Wort ‚Held‘ am meisten wiederholt. Hassan hatte sich auf das Passieren der Stromschnelle vorbereitet und
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