12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
sie mich aus dem Wasser steigen sehen und sich jetzt wieder zurückgezogen, da sie mich unmöglich erkennen konnte.
Ich schlich näher und legte die Hände rund um den Mund.
„Senitza!“ flüsterte ich leise.
Da wurde die Spalte größer und ein dunkles Köpfchen erschien.
„Wer bist du?“ hauchte es herab.
„Der Hekim, welcher bei dir war.“
„Du kommst, mich zu retten?“
„Ja. Du hast es geahnt und meine Worte verstanden?“
„Ja. Bist du allein?“
„Isla Ben Maflei ist draußen.“
„Ach! Er wird getötet werden!“
„Von wem?“
„Von Abrahim. Er schläft nicht des Nachts; er wacht. Und die Wärterin liegt in dem Raum neben mir. Halt – horch! Oh, fliehe schnell!“
Dort hinter der Tür, welche zum Selamlük führte, ließ sich ein Geräusch vernehmen. Die Spalte oben schloß sich, und ich eilte augenblicklich zum Bassin zurück. Dort war der einzige Ort, wo ich Zuflucht finden konnte. Vorsichtig, damit das Wasser keine Wellen werfen sollte, die mich verraten hätten, glitt ich hinein.
Kaum war dies geschehen, so öffnete sich die Tür, und es erschien die Gestalt Abrahims, der langsam und spähend den Hof umschritt. Ich stand bis zum Mund im Wasser, und mein Kopf war hinter der Einfassung verborgen, so daß mich der Ägypter nicht gewahr werden konnte. Dieser überzeugte sich, daß das Tor noch verschlossen sei, und verschwand, nachdem er die Runde vollendet hatte, wieder in dem Selamlük.
Jetzt stieg ich wieder aus dem Wasser, glitt zum Tor, schob den Riegel zurück und öffnete. Ich stand im Garten. Rasch eilte ich quer über denselben hinweg, um nun auch das Mauertor zu öffnen, und dann wollte ich um die Ecke biegen, Isla Ben Maflei zu holen, als dieser eben erschien.
„Hamdullillah, Preis sei Gott, Effendi! Es ist dir gelungen.“
„Ja. Aber ich kämpfte mit dem Tod. Gib mir mein Gewand!“
Hose und Weste trieften mir von Wasser; ich warf nur die Jacke über, um nicht in meinen Bewegungen gehindert zu sein, und sagt ihm:
„Ich sprach bereits mit Senitza.“
„Ist es wahr, Effendi?“
„Sie hatte mich verstanden und erwartete uns.“
„O komm! Schnell, schnell!“
„Warte noch!“
Ich ging in den Garten, um eine der Stangen zu holen, welche ich gleich bei meiner ersten Anwesenheit bemerkt hatte. Dann traten wir in den Hof. Die Spalte oben im Gitterwerk hatte sich bereits wieder geöffnet.
„Senitza (Senitza ist serbisch und heißt deutsch Augapfel), mein Stern, mein –“ rief Isla mit unterdrückter Stimme, als ich emporgezeigt hatte. Ich unterbrach ihn:
„Um alles in der Welt, still! Hier ist keine Zeit zu Herzensergüssen. Du schweigst, und nur ich rede!“
Dann wandte ich mich empor zu ihr:
„Bist du bereit, mit uns zu gehen?“
„Oh, ja!“
„Durch die Zimmer geht es nicht?“
„Nein. Aber drüben hinter den hölzernen Säulen liegt eine Leiter.“
„Ich hole sie!“
Wir brauchten also weder die Stange noch den mitgebrachten Strick. Ich ging und fand die Leiter. Sie war fest. Als ich sie angelehnt hatte, stieg Isla empor. Ich schlich unterdessen nach der Tür zum Selamlük, um zu horchen.
Es dauerte einige Zeit, ehe ich die Gestalt des Mädchens erscheinen sah. Sie stieg herab, und Isla unterstützte sie dabei. In dem Augenblick, in welchem sie den Boden erreichten, erhielt die Leiter einen Stoß; sie schwankte und stürzte mit einem lauten Krach zu Boden.
„Flieht! Schnell nach dem Boot!“ warnte ich.
Sie eilten nach dem Tor, und zu gleicher Zeit hörte ich Schritte hinter der Tür. Abrahim hatte das Geräusch vernommen und kam herbei. Ich mußte den Fliehenden den Rückzug decken und folgte ihnen also mit nicht zu großer Schnelligkeit. Der Ägypter bemerkte mich, sah auch die umgestürzte Leiter und das geöffnete Gitter.
Er stieß einen Schrei aus, der von allen Bewohnern des Hauses gehört werden mußte.
„Chirsytz, hajdut, Dieb, Räuber, halt! Herbei, herbei, ihr Männer, ihr Leute, ihr Sklaven! Hilfe!“
Mit diesen laut gebrüllten Worten sprang er hinter mir her. Da der Orient keine Betten nach Art der unseren kennt und man meist in den Kleidern auf dem Diwan schläft, so waren die Bewohner des Hauses alsbald auf den Beinen.
Der Ägypter war hart hinter mir. Am Außentor blickte ich mich um. Er war nur zehn Schritte von mir entfernt, und dort an dem inneren Tor erschien bereits ein zweiter Verfolger.
Draußen bemerkte ich nach rechts Isla Ben Maflei mit Senitza fliehen; ich wandte mich also nach links. Abrahim ließ
Weitere Kostenlose Bücher