12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
stimmte in allen drei Journalen ganz wörtlich überein.
Aus welchem Grund hatte der Tote, welchem dieses Kamel gehörte, diese Blätter bei sich geführt? Ging ihn der Fall persönlich etwas an? War er ein Verwandter des Kaufmanns in Blidah, war er der Mörder, oder war er ein Polizist, der die Spur des Verbrechers verfolgt hatte?
Ich nahm die Papiere an mich, wie ich auch den Ring an meinen Finger gesteckt hatte, und kehrte mit Halef zu der Leiche zurück. Über ihr schwebten beharrlich die Geier, welche sich nun nach unserer Entfernung auf das Kamel niederließen.
„Was gedenkst du nun zu tun, Sihdi?“ fragte der Diener.
„Es bleibt uns nichts übrig, als den Mann zu begraben.“
„Willst du ihn in die Erde scharren?“
„Nein; dazu fehlen uns die Werkzeuge. Wir errichten einen Steinhaufen über ihm; so wird kein Tier zu ihm gelangen können.“
„Und du denkst wirklich, daß er ein Giaur ist?“
„Er ist ein Christ.“
„Es ist möglich, daß du dich dennoch irrst, Sihdi; er kann trotzdem auch ein Rechtgläubiger sein. Darum erlaube mir eine Bitte!“
„Welche?“
„Laß uns ihn so legen, daß er mit dem Gesicht nach Mekka blickt!“
„Ich habe nichts dagegen, denn dann ist es zugleich nach Jerusalem gerichtet, wo der Weltheiland litt und starb. Greife an!“
Es war ein trauriges Werk, welches wir in der tiefen Einsamkeit vollendeten. Als der Steinhaufen, welcher den Unglücklichen bedeckte, so hoch war, daß er der Leiche vollständigen Schutz gegen die Tiere der Wüste gewährte, fügte ich noch so viel hinzu, daß er die Gestalt eines Kreuzes bekam, und faltete dann die Hände, um ein Gebet zu sprechen. Als ich damit geendet hatte, wandte Halef sein Auge gegen Morgen, um mit der hundertundzwölften Sure des Korans zu beginnen:
„Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Sprich: Gott ist der einzige und ewige Gott. Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt, und kein Wesen ist ihm gleich. Der Mensch liebt das dahineilende Leben und lasset das zukünftige unbeachtet. Deine Abreise aber ist gekommen, und nun wirst du hingetrieben zu deinem Herrn, der dich auferwecken wird zum neuen Leben. Möge dann die Zahl deiner Sünden klein sein und die Zahl deiner guten Taten so groß wie der Sand, auf dem du einschliefst in der Wüste!“
Nach diesen Worten bückte er sich nieder, um seine Hände, die er mit der Leiche verunreinigt hatte, mit dem Sand abzuwaschen.
„So, Sihdi, jetzt bin ich wieder tahir, was die Kinder Israel koscher nennen, und darf wieder berühren, was rein und heilig ist. Was tun wir jetzt?“
„Wir eilen den Mördern nach, um sie einzuholen.“
„Willst du sie töten?“
„Ich bin ihr Richter nicht. Ich werde mit ihnen sprechen und dann erfahren, warum sie ihn getötet haben. Dann weiß ich, was ich tun werde.“
„Es können keine klugen Männer sein, sonst hätten sie nicht ein Hedjihn getötet, welches mehr wert ist, als ihre Pferde.“
„Das Hedjihn hätte sie vielleicht verraten. Hier siehst du ihre Spur. Vorwärts! Sie sind fünf Stunden vor uns; vielleicht treffen wir morgen auf sie, noch ehe sie Seddada erreichen.“
Wir jagten trotz der drückenden Hitze und des schwierigen, felsigen Bodens mit einer Eile dahin, als ob es gelte, Gazellen einzuholen, und es war dabei ganz unmöglich, ein Gespräch zu führen. Diese Schweigsamkeit aber konnte mein guter Halef unmöglich lange aushalten.
„Sihdi“, rief er hinter mir, „Sihdi, willst du mich verlassen?“
Ich drehte mich nach ihm um.
„Verlassen?“
„Ja. Meine Stute hat ältere Beine als dein Berberhengst.“
Wirklich triefte die alte Hassi-Ferdschahn-Stute bereits von Schweiß, und der Schaum flog ihr in großen Flocken von dem Maul.
„Aber wir können heute nicht wie gewöhnlich während der größten Hitze Rast machen, sondern wir müssen reiten bis zur Nacht, sonst holen wir die beiden, welche vor uns sind, nicht ein.“
„Wer zu viel eilt, kommt auch nicht früher als der, welcher langsam reitet, Effendi, denn – Allah akbar, blicke da hinunter!“
Wir befanden uns vor einem jähen Sturz des Wadi und sahen in der Entfernung von vielleicht einer Viertelwegstunde unter uns zwei Reiter oder vielmehr zwei Männer an einer kleinen Sobha (Lache) sitzen, in welcher sich einiges brackige Wasser erhalten hatte. Ihre Pferde knabberten an den dürren, stacheligen Mimosen herum, welche in der Nähe standen.
„Ah, sie sind es!“
„Ja, Sihdi, sie sind es. Auch ihnen ist es zu heiß gewesen, und sie
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