12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
Jeder Selige ist sechzig Ellen lang und immerfort grad dreißig Jahre alt. Unter allen Bäumen aber ragt hervor der Tubah, der Baum der Glückseligkeit, dessen Stamm im Palast des großen Propheten steht und dessen Äste in die Wohnungen der Seligen reichen, wo an ihnen alles hängt, was zur Seligkeit erforderlich ist. Aus den Wurzeln des Baumes Tubah entspringen alle Flüsse des Paradieses, in denen Milch, Wein, Kaffee und Honig strömt.“
Trotz der Sinnlichkeit dieser Vorstellung muß ich bemerken, daß Muhammed aus der christlichen Anschauung geschöpft und dieselbe für seine Nomadenhorden umgemodelt hat. Halef blickte mich jetzt mit einem Gesicht an, in welchem sehr deutlich die Erwartung zu lesen war, daß mich seine Beschreibung des Paradieses überwältigt haben werde.
„Nun, was meinst du jetzt?“ fragte er, als ich schwieg.
„Ich will dir aufrichtig sagen, daß ich nicht sechzig Ellen lang werden mag; auch mag ich von den Houris nichts wissen, denn ich bin ein Feind aller Frauen und Mädchen.“
„Warum?“ fragte er ganz erstaunt.
„Weil der Prophet sagt: ‚Des Weibes Stimme ist wie der Gesang des Bülbül (Nachtigall), aber ihre Zunge ist voll Gift wie die Zunge der Natter.‘ Hast du das noch nicht gelesen?“
„Ich habe es gelesen.“
Er senkte den Kopf; ich hatte ihn mit den Worten seines eigenen Propheten geschlagen. Dann fragte er mit etwas weniger Zuversichtlichkeit:
„Ist nicht trotzdem unsere Seligkeit schön? Du brauchst ja keine Houri anzusehen!“
„Ich bleibe ein Christ!“
„Aber es ist nicht schwer, zu sagen: La illa illa Allah, we Muhammed Resul Allah!“
„Ist es schwerer, zu beten: Ja abana 'Iledsi, fi 's – semavati, jata – haddeso 'smoka?“
Er blickte mich zornig an.
„Ich weiß es wohl, daß Isa Ben Marryam, den ihr Jesus nennt, euch dieses Gebet gelehrt hat; ihr nennt es das Vaterunser. Du willst mich stets zu deinem Glauben bekehren, aber denke nur nicht daran, daß du mich zu einem Abtrünnigen vom Tauhid, dem Glauben an Allah, machen wirst!“
Ich hatte schon mehrmals versucht, seinem Bekehrungsversuch den meinigen entgegenzustellen. Zwar war ich von der Fruchtlosigkeit desselben vollständig überzeugt, aber es war das einzige Mittel, ihn zum Schweigen zu bringen. Das bewährte sich auch jetzt wieder.
„So laß mir meinen Glauben, wie ich dir den deinigen lasse!“
Er knurrte auf diese meine Worte etwas vor sich hin und brummte dann:
„Aber ich werde dich dennoch bekehren, du magst wollen oder nicht. Was ich einmal will, das will ich, denn ich bin der Hadschi (Mekkapilger) Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah!“
„So bist du also der Sohn Abul Abbas', des Sohnes Dawud al Gossarah?“
„Ja.“
„Und beide waren Pilger?“
„Ja.“
„Auch du bist ein Hadschi?“
„Ja.“
„So wart ihr alle drei in Mekka und habt die heilige Kaaba gesehen?“
„Dawud al Gossarah nicht.“
„Ah! Und dennoch nennst du ihn einen Hadschi?“
„Ja, denn er war einer. Er wohnte am Dschebel Schur-Schum und machte sich als Jüngling auf die Pilgerreise. Er kam glücklich über el Dschuf, das man den Leib der Wüste nennt; dann aber wurde er krank und mußte am Brunnen Trasah zurückbleiben. Dort nahm er ein Weib und starb, nachdem er seinen Sohn Abul Abbas gesehen hatte. Ist er nicht ein Hadschi, ein Pilger, zu nennen?“
„Hm! Aber Abul Abbas war in Mekka?“
„Nein.“
„Und auch er ist ein Hadschi?“
„Ja. Er trat die Pilgerfahrt an und kam bis in die Ebene Admar, wo er zurückbleiben mußte.“
„Warum?“
„Er erblickte da Amareh, die Perle von Dschuneth, und liebte sie. Amareh wurde sein Weib und gebar ihm Halef Omar, den du hier neben dir siehst. Dann starb er. War er nicht ein Hadschi?“
„Hm! Aber du selbst warst in Mekka?“
„Nein.“
„Und nennst dich dennoch einen Pilger!“
„Ja. Als meine Mutter tot war, begab ich mich auf die Pilgerschaft. Ich zog gen Aufgang und Niedergang der Sonne; ich ging nach Mittag und nach Mitternacht; ich lernte alle Oasen der Wüste und alle Orte Ägyptens kennen; ich war noch nicht in Mekka, aber ich werde noch dorthin kommen. Bin ich also nicht ein Hadschi?“
„Hm! Ich denke, nur wer in Mekka war, darf sich einen Hadschi nennen?“
„Eigentlich, ja. Aber ich bin ja auf der Reise dorthin!“
„Möglich! Doch du wirst auch irgendwo eine schöne Jungfrau finden und bei ihr bleiben; deinem Sohn wird es ebenso gehen, denn dies scheint euer Kismet zu sein,
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