12 - Wer die Wahrheit sucht
Was hast du am Laufen? Warum brauchst du kein Auto mehr?‹ Jetzt kommt die Antwort: Weil ich mir ein Boot kaufe. Und das Boot deckt alles ab - Transport, Einkommen, Unterkunft.«
»Träum weiter, Butch«, murmelte China. Cherokees Lebenseinstellung hatte in vielerlei Hinsicht eine fatale Ähnlichkeit mit der dieses Banditen aus dem Wilden Westen: Immer ging es darum, das schnelle Geld zu machen, etwas umsonst zu bekommen, gut zu leben.
»Nein«, widersprach er. »Das ist eine todsichere Sache. Das richtige Boot hab ich schon gefunden. Es liegt unten in Newport - ein Fischkutter. Im Augenblick nehmen sie Leute zum Fang mit raus. Gute Kohle. Sie fischen Tunfisch und Makrelen. Meistens sind es Tagesausflüge. Die richtig fette Kohle verdienen sie mit Fahrten runter zur Baja. Es muss einiges dran gemacht werden, aber ich würde auf dem Boot wohnen, während ich es richte. Was ich an Material brauche, würde ich mir dort in den Ausstattungsgeschäften besorgen - dazu brauche ich kein Auto -, und ich würde das ganze Jahr über Leute mit rausnehmen.«
»Was verstehst du denn schon von der Hochseefischerei? Und von Booten? Und woher willst du überhaupt das Geld nehmen?« China schnitt ein Stück Gurke in den Romanasalat. Sie betrachtete Cherokees unerwartetes Auftauchen im Licht ihrer letzten Frage und sagte: »Fang gar nicht erst davon an, Bruderherz.«
»Hey! Wofür hältst du mich? Ich sagte doch, dass ich was am Laufen habe, und das stimmt auch. Verdammt noch mal, ich dachte, du würdest dich für mich freuen. Ich hab nicht mal versucht, Mam anzupumpen.«
»Weil die so viel Geld hat!« »Sie hat immerhin das Haus. Ich hätte sie bitten können, es mir zu überschreiben, damit ich eine zweite Hypothek aufnehmen und mir das Geld auf die Weise beschaffen kann. Sie hätte sofort mitgemacht, und das weißt du auch.«
China musste ihm zustimmen. Wann hatte ihre Mutter zu Cherokees zweifelhaften Projekten je nein gesagt? Er hat Asthma, pflegte sie in seiner Kindheit entschuldigend zu sagen. Und später war der Spruch zu: Er ist eben ein Mann mutiert.
»Bei mir brauchst du es jedenfalls auch nicht zu versuchen«, sagte China. »Was ich habe, ist für mich und Matt und die Zukunft.«
»Als ob.« Cherokee stand auf, ging zur Küchentür und öffnete sie. Die Hände an den Rahmen gestützt, blickte er hinaus in den ausgedörrten Garten.
»Als ob was?«
»Ach, vergiss es.«
China wusch zwei Tomaten und begann, sie aufzuschneiden. Sie warf einen Blick auf ihren Bruder. Mit zusammengezogenen Augenbrauen stand er da und kaute auf der Unterlippe. Sie konnte in seinem Gesicht lesen wie in einem offenen Buch: Er heckte etwas aus.
»Ich hab was gespart«, sagte er. »Es reicht natürlich nicht, aber ich sehe eine Möglichkeit, mir einen ganz netten Batzen dazuzuverdienen.«
»Du willst behaupten, du hättest dir die ganze mühselige Tramperei hier herauf nicht angetan, um mich um einen kleinen Zuschuss zu bitten? Du hast dir vierundzwanzig Stunden am Straßenrand um die Ohren geschlagen, um mir einen Freundschaftsbesuch zu machen und von deinen Plänen zu erzählen?
Mich zu fragen, ob ich Thanksgiving zu Mam fahre? Logisch ist das nicht gerade. Es gibt Telefone. E-Mail. Telegramme. Zur Not auch Rauchzeichen.«
Er drehte sich zu ihr um und sah einen Moment schweigend zu, während sie eine Hand voll Champignons säuberte. »Wenn du's genau wissen willst«, sagte er schließlich, »hab ich zwei kostenlose Flugtickets nach Europa und dachte, meine kleine Schwester hätte vielleicht Lust, mitzukommen. Darum bin ich hier. Um zu fragen, ob du mitfliegst. Du warst doch noch nie dort, oder? Nenn's einfach ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk.«
China ließ das Messer sinken. »Wie, zum Teufel, bist du an zwei kostenlose Tickets nach Europa gekommen?«
»Kurierdienst.«
Kuriere, erklärte er, wurden eingesetzt, um Dokumente und Unterlagen von den Vereinigten Staaten an Bestimmungsorte rund um die Erde zu befördern, wenn der Absender fürchtete, die üblichen Beförderungsdienste wie Post, Federal Express oder UPS würden sie nicht sicher und rechtzeitig an den Empfänger ausliefern können. Unternehmen oder Privatpersonen kauften daher dem interessierten Reisenden ein Ticket an den Zielort - manchmal zahlten sie obendrein ein Honorar -, und sobald die Sendung in den Händen des Empfängers angelangt war, konnte der Kurier sich entweder ein paar schöne Tage vor Ort machen oder aber von dort aus Weiterreisen, ganz wie er
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