12 - Wer die Wahrheit sucht
zugleich.
»Was weißt du von Matt?«, fragte sie ihren Bruder.
Einen Teil der Antwort kannte sie schon. Sie waren alle drei Teenager in demselben heruntergekommenen Viertel einer Stadt namens Orange gewesen, wo Matt Surfer gewesen war, Cherokee sein Fan und China der Schatten der beiden. Einen anderen Teil der Antwort jedoch hatte sie nie erfahren, weil der in den Stunden und Tagen versteckt war, in denen die beiden Jungen allein losgezogen waren, um in Huntington Beach die Wellen zu reiten.
»Vergiss es.« Cherokee drängte sich an ihr vorbei und ging wieder ins Haus.
Sie folgte ihm. Aber er machte weder in der Küche noch im Wohnzimmer Halt. Er ging direkt nach vorn durch, zog die Fliegengittertür auf und trat auf die windschiefe Veranda. Erst dort blieb er stehen und sah mit zusammengekniffenen Augen zur hellen, heißen Straße hinaus, wo die Sonne auf die geparkten Autos herunterbrannte und ein Windstoß welkes Laub raschelnd über das Pflaster fegte.
»Ich finde, du solltest mir sagen, worauf du anspielst«, sagte China. »Du hast davon angefangen. Jetzt bring es auch zu Ende.«
»Vergiss es«, sagte er erneut.
»Du hast von jämmerlich gesprochen. Von lächerlich. Von einem Spiel.«
»Das ist mir nur so rausgerutscht«, sagte er. »Ich war sauer.«
»Du triffst Matt doch, wenn er seine Eltern besucht. Und dann redest du auch mit ihm, oder nicht? Was weißt du, Cherokee? Hat er -« Sie wusste nicht, ob sie es wirklich aussprechen konnte, so groß war ihre Angst vor der Gewissheit. Aber da waren seine langen Abwesenheiten, seine Reisen nach New York, seine Absagen. Er lebte zwar in Los Angeles, wenn er nicht auf Reisen war, aber wenn er wirklich einmal zu Hause war, hatte er fast immer so viel zu tun, dass nicht einmal Zeit für ein Wochenende mit ihr blieb. Sie hatte sich einzureden versucht, dass das alles - gemessen an den gemeinsam verbrachten Jahren - keine Bedeutung hatte. Aber ihre Zweifel waren gewachsen, und jetzt standen sie vor ihr und forderten, anerkannt oder verworfen zu werden.
»Hat Matthew eine andere?«, fragte sie ihren Bruder.
Prustend schüttelte er den Kopf. Aber es schien weniger eine Antwort auf ihre Frage zu sein als eine Reaktion auf die Tatsache, dass sie die Frage überhaupt gestellt hatte.
»Fünfzig Dollar und ein Surfbrett hab ich verlangt«, sagte er. »Ich hab für die Ware garantiert - sei einfach nett zu ihr, hab ich gesagt, dann macht sie schon mit -, und daraufhin hat er gezahlt.«
China hörte die Worte, und im ersten Moment weigerte sich ihr Hirn, sie aufzunehmen. Aber sie erinnerte sich; erinnerte sich, wie Cherokee damals mit dem Surfbrett nach Hause gekommen war und triumphierend gerufen hatte: »Matt hat es mir geschenkt!« Und sie erinnerte sich an das, was folgte: Sie war siebzehn Jahre alt gewesen, ungeküsst und unberührt, ohne jede Erfahrung mit jungen Männern, und eines Tages war Matthew Whitecomb gekommen - groß und schüchtern, auf dem Surfbrett ein Ass, aber Mädchen gegenüber ein Tollpatsch - und hatte sie vor Verlegenheit stammelnd gefragt, ob sie einmal mit ihm ausgehen würde. Nur war das nicht Verlegenheit gewesen, sondern das Verlangen danach, die Ware in Besitz zu nehmen, die er ihrem Bruder abgekauft hatte.
»Du hast mich verkauft -«
Cherokee drehte sich herum und sah sie an. »Er findet dich gut im Bett, China. Das ist es. Das ist alles. Weiter nichts.«
»Das glaube ich dir nicht.« Aber ihr Mund war trocken, trockener als ihre Haut sich im heißen Wüstenwind angefühlt hatte, trockener sogar als die ausgedörrte, brüchige Erde, in der die Blumen welkten und die Regenwürmer sich verkrochen.
Sie tastete hinter sich nach dem rostigen Knauf der alten Fliegengittertür und ging ins Haus. Ihr Bruder folgte ihr betreten, sie hörte es an seinem schlurfenden Schritt.
»Ich wollte es dir nicht sagen«, erklärte er. »Es tut mir Leid. Ich wollte es dir niemals sagen.«
»Hau ab!«, erwiderte sie. »Geh einfach weg. Los, geh!«
»Du weißt, dass ich die Wahrheit sage. Du weißt es, weil du schon lange spürst, dass es zwischen euch nicht stimmt, schon eine ganze Weile nicht mehr.«
»Ich weiß nichts Dergleichen«, behauptete sie.
»Doch, du weißt es. Und es ist besser, es zu wissen. Jetzt kannst du ihn gehen lassen.« Er trat hinter sie und legte ihr - ungewohnt zaghaft, wie ihr schien - die Hand auf die Schulter. »Komm mit nach Europa, China«, sagte er leise. »Da wird das Vergessen leichter.«
Sie schüttelte seine Hand ab
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