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120 - Sterben in Berlin

120 - Sterben in Berlin

Titel: 120 - Sterben in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Berliner sind unsere wichtigsten Verbündeten an der Ostflanke, wenn Sie mich fragen. Davon abgesehen ist die Regierung dort genauso auf die neuesten Informationen angewiesen wie die Bunkerkolonisten von Warschau.«
    Colonel Loomer mimte die Hartnäckige, kramte ein paar halbherzige Argumente hervor, die Maddrax aber samt und sonders entkräftete. Schließlich gab sie nach. Über ISS-Funk nahm sie Kontakt mit London auf. »Commander Drax plädiert für einen Abstecher nach Berlin«, funkte sie und wiederholte seine Argumente. Das Okay ließ nicht lange auf sich warten.
    »Sie haben gewonnen, Drax«, seufzte die Loomer. »Wir fahren nach Berlin.«
    »Ich hab gewonnen«, sagte Aruula. Sie war verblüfft: Alle möglichen Gründe hatte ihr Gefährte angeführt, um seinen heimlichen Wunsch durchzusetzen. Das aber, was sein Herz wirklich mit aller Macht nach Berlin zog, das hatte er mit keinem Wort erwähnt: seine kleine Tochter Ann…
    ***
    Pottsdam, Anfang Juni 2520
    Die Tür hatte zwei Flügel und glich wegen der geschwärzten Eichenbohlen, aus denen sie gezimmert war, einem Tor. Links und rechts postierten zwei Krieger in Kettenhemden und ledernen Beinkleidern. Ihre Helmspitzen berührten fast das Gefieder des Eluu unter der Decke, so groß waren sie. Breitbeinig und reglos standen die Hünen da, als wären auch sie tot und ausgestopft wie der gefiederte Deckenschmuck. Die schweren Erzscheiden ihrer Äxte stemmten sie zwischen ihre Stiefel auf den Steinboden, die Augen blieben starr auf die gegenüberliegende Kartenwand geheftet. Ihr Fürst mochte sich noch so hektisch durch ihr Blickfeld bewegen, sie zuckten nicht einmal mit den Wimpern, sondern verharrten ohne jede Bewegung, als könnten sie durch ihn hindurchsehen. Auch von den anderen beiden in der Gerichtskammer Anwesenden schienen sie keine Notiz zu nehmen.
    »Das Reich!«, rief der Stammesfürst mit inbrünstiger Stimme. Er hielt einen Augenblick inne in seinem ruhelosen Hin und Her durch den Saal und legte seine Rechte auf die Brust. »Ja, das Reich, Siimn! Es wird unser sein!«
    Stammesfürst Bolle Karajan schritt zur Wand mit der Karte.
    »Zuerst greifen wir uns Braandburg, dann greifen wir uns Beelinn!« Mit geballter Faust schlug er auf die beiden roten Punkte der Karte, neben denen die beiden Namen standen. In etwas altertümlicher Schreibweise allerdings, doch das wusste der Stammesfürst nicht: Er war des Lesens nicht kundig.
    Die Karte hatte ihm einer seiner drei Schreiber aus den Kellergewölben einer Schlossruine ausgegraben. Das war schon viele Winter her. Damals wurden auch eine Menge vermoderter Papierblöcke voller Schriftzeichen gefunden. In einem stieß der Schreiber auf das Wort »Karajan«. Kein Mensch in Potsdam wusste, was es früher, bei den Alten, bedeutet hatte. Ein Schreiber hielt es für den Titel eines großen eureeischen Reichsführers der Alten, und da dem jungen Stammesfürsten das Wort und vor allem diese Deutung gefielen, hängte er es kurzerhand an seinen Namen an.
    Eigentlich hieß er Bolle Leeman; wie schon sein Vater und sein Urgroßvater.
    »Braandburg ist eine Sache der Bewaffnung, der Waffentechnik und der militärischen Strategie«, sagte Siimn, »Beelinn jedoch eine Sache des Verstandes. Wir müssen geschickt vorgehen, sehr geschickt.«
    Siimn trug eine weites graues Hemd, das seine Knie bedeckte, und eine lange weite Hose von gleicher Farbe. Eine Leinenkappe bedeckte seinen weitgehend haarlosen Schädel.
    Sein Rollstuhl stand etwa drei Meter von der Kartenwand entfernt, sodass er die Fremde im Sessel neben dem Thron nur aus den Augenwinkeln sehen konnte. Es war ungewöhnlich, dass der Stammesfürst seine Mätresse an geheimen Beratungen teilnehmen ließ. »Wir gehen mit äußerster Raffinesse und Vorsicht zu Werk, oder wir verlieren.«
    »Mit äußerster Raffinesse und Vorsicht, Siimn, und das Reich wird unser sein!«
    Auch die Sache mit dem »Reich«, hatte ihm einer der Schreiber aus Überresten verrotteter Bücher vorgelesen. Zu den Zeiten der Alten vor »Christopher-Floyd« hätten Fürstentümer und Königreiche angeblich mehr als nur eine Ruinensiedlung und ein paar Ländereien umfasst. Bolle Karajan schwebte ein Reich vor, das sich zwischen Ostmeer und Eisgebirge, zwischen dem Großen Fluss und der Oda ausbreitete. »Und du, mein Berater und Botschafter, du wirst Beelinn für mein Reich erobern!«
    Der Stammesfürst von Pottsdam ließ sich sein blondes Langhaar jeden Morgen zu vielen Zöpfchen flechten. Er trug

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