1268 - Die Tiermeister von Nagath
anders.
Cailibi war von einem tiefen Ehrgeiz beseelt. Er hatte nie die Frage aufkommen lassen, wer der Nachfolger als Erster Dompteur sein würde. Für ihn stand unabänderlich fest, daß er das war und daß Vaichath nur die Rolle der notwendigen Nebenbuhlerin spielen durfte.
Nach ihrer Niederlage würde er sie weiter im Kreis der Zweiten Dompteure dulden, aber er würde zeit seines Lebens kein Wort mehr mit ihr wechseln.
So verlangten es die Gesetze und Regeln von Oghols Stamm.
Über das Waddeldar wußte die Nagatherin nicht mehr als jeder Angehörige von Oghols Stamm. Es ging aufrecht auf zwei Beinen, und es besaß kein Fell. Eigentlich war das wenig. Vor allem fehlte jede Auskunft über die Körpergröße. Und was vielleicht noch wichtiger war, sie wußte nicht, auf welche Laute das Waddeldar hörte. Welche Bemalung sollte sie anlegen, um dem Waddeldar so zu begegnen, daß es auch auf sie ansprach?
Sie wußte es nicht. Keiner im Stamm Oghols wußte es - Cailibi wahrscheinlich ausgenommen, denn er hatte ja schon einmal ein Waddeldar studieren können.
Die Nagatherin hob ihren Kopf, so daß sie über den teilweise sehr dichten Dschungel hinweg auf das Dorf blicken konnte. Oghol befehligte die Zweiten Dompteure, die wiederum die Woodanager beim Aushöhlen der oberen Hälften der mächtigen Wohnbäume anleiteten.
Ob sie es wagen konnte, Cailibi beim Anlegen der Körperbemalung heimlich zu beobachten? Nein! Sie verwarf diesen Gedanken wieder. Ihr Konkurrent war zu schlau. Er konnte zwanzig oder mehr Tiere gleichzeitig lenken und sie zu seinem persönlichen Schutz oder als Wachen einteilen. Sie würde nie und nimmer nah genug an ihn herankommen.
Vaichath lauschte in sich hinein. Sie spürte Angst und Freude. Die Furcht vor dem Feuer war übermächtig. Ihr gegenüber verblichen die Bedenken vor der sich ab und zu aufblähenden Sonne, die sie wohl fürchtete, aber auch verehrte. Sie wartete auf die Nacht, in der die vielen Monde (Oghol behauptete, es seien 33) ihre Sinne laben würden.
Sie liebte die Monde, auch wenn diese vielleicht nur die Diener der Sonne waren, denn sie waren schlicht und schön. Neben der Natur ihrer Heimat stellten sie das Symbol für alle Herrlichkeit des Daseins dar.
Einmal hatte sie einen Traum gehabt, der so schrecklich endete, daß sie über mehrere Tage nicht mehr in der Lage gewesen war, einem Tier richtige Anweisungen zu geben.
Die Monde hatten sich verflüssigt und in bunten Schlieren über den Nachthimmel verteilt.
Mit Schaudern dachte sie daran zurück.
Aber ihr Leben hatte auch viele schöne Seiten gehabt. Tiermeister war jeder Nagather von Oghols Stamm. Und auch wohl jeder anderen Gruppe aus nah und fern. Aber nur wenigen war das Talent angeboren, zum Zweiten Dompteur aufzusteigen. Wer erfolgreich nachweisen konnte, mehr als hundert verschiedene Tierarten zu beherrschen, bekam den Rang eines Zweiten Dompteurs. Unter diesen wiederum wurden jene ausgewählt, die in der Lage waren, auch bei ihnen bis dahin unbekannten Tieren auf Anhieb eine Verständigung zu erzielen.
Diese Nagather bekamen einen besonderen, aber namenlosen Status. Sie wirkten stets im engsten Kreis des einen Ersten Dompteurs des Stammes. Und wenn dieser verstarb, wurde aus diesen Auserwählten der neue Erste Dompteur bestimmt. Dies geschah durch die Prüfung, bei der es galt, das seltenste Tier von Nagath innerhalb von 20 Tagen aufzuspüren und unter Befehlsgewalt zu bekommen, das Waddeldar.
In Oghols Stamm hatten nur zwei diesen bevorzugten Status errungen. Sie selbst, Vaichath, und natürlich Cailibi. Zwischen ihnen hatte das Wettrennen begonnen, wenngleich dafür auch noch keine äußerlichen Anzeichen zu erkennen waren.
Vaichath machte sich mit dem Gedanken vertraut, daß sie diese Auseinandersetzung um die Würde des Ersten Dompteurs verlieren würde. Die wesentlichen Vorteile lagen eindeutig auf Cailibis Seite.
Was würde sie dann tun, wenn der neue Erste Dompteur kein Wort mehr mit ihr sprach?
Wäre sie überhaupt in der Lage, diese Schmach zu ertragen? Sie wußte es nicht, aber sie resignierte auch nicht.
Mit etwas Glück würde sie sich einem anderen Stamm anschließen können. Dort würde sie zwar wieder ganz unten anfangen müssen, aber bei ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten der Tierstimmenimitation war das kein Handikap. Natürlich mußte es sich um einen Stamm der der Symbionten-Nagather handeln, wie es der Oghols war.
Hier im Baumdorf lebten die naturverbundenen Nagather in
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