1268 - Die Tiermeister von Nagath
friedlicher Eintracht mit den Tieren. Natürlich bestimmten sie, was getan wurde. Sie lenkten die Geschöpfe der Fauna so, wie es ihren Bedürfnissen entsprach, ohne die Tiere jedoch auszubeuten oder zu unterwerfen.
Das hatten die wahren Tiermeister nicht nötig, denn sie konnten sich mit ihren Symbiosepartner wahrhaft verständigen. Die Woodanager profitierten davon, daß sie die Baumwohnungen aushöhlten, denn die Nagather gaben ihn Schutz bei Unwettern oder führten sie in solche Regionen, in denen die von Nagern bevorzugten Seidenknospen wuchsen. So wusch eine Hand die andere.
Ähnliches galt für die klobigen Ärter, die als Reittiere benutzt wurden. Diese Tiere wären längst ausgestorben, wenn die Tiermeister nicht in regelmäßigen Abständen dafür gesorgt hätten, daß die pinkfarbenen Nachteulen die schmarotzenden Egel aus ihrem Fell fraßen.
Die Beispiele ließen sich fast endlos fortsetzen, und insgesamt zeigten sie, daß die Nagather in einer harmonischen Symbiose mit der Natur lebten.
Vaichath wußte aber sehr wohl, daß dies nicht für alle Stämme galt. Sie brauchte nur an die Fleischfresser zu denken, die der weise Oghol Parasiten nannte. Diese Nagather waren allein aufgrund ihrer brutalen, ja fast mörderischen Einstellung zu jeglicher Art Leben die ärgsten Feinde der Symbiose-Nagather, zu denen Vaichath gehörte.
Und die nichtsnutzigen Faulen, die Oghol als Synöziten oder Synözie-Nagather bezeichnete, gefielen der Frau aufgrund ihrer Interessenlosigkeit auch nicht viel besser.
Diese Gruppen lebten zwar auch mit Tieren in einer Gemeinschaft, aber eigentlich profitierte keine Seite davon. Auch war bei den Synöziten die Fähigkeit der Tierstimmenimitation bei weitem nicht so ausgebildet wie bei den Symbionten.
Wenn Vaichath ihre Lage so überdachte, dann blieb ihr nach der Niederlage nur die Wahl, entweder diese zu tragen und mit Cailibis Verachtung zu leben oder aber einen anderen Stamm der Symbiose-Nagather zu finden und dort neu zu beginnen. Ganz einfach würde das nicht sein.
Sie grübelte noch eine ganze Weile vor sich hin, ohne sich zu einem Entschluß durchzuringen. Inzwischen sank die Dämmerung herab und legte sich wie ein weiches Tuch über die Natur.
Im Baumdorf beendeten Oghol, seine Helfer und die Woodanager für diesen Tag ihre Arbeit. Es war Zeit für das abendliche Mahl, für frische Früchte und klares Quellwasser.
Die Nagatherin warf einen Blick hinüber zu dem Hügel, auf dem sie Cailibi vermutete.
Aber die beginnende Nacht verwischte die scharfen Konturen bereits mit ihren Schatten.
Sie konnte nichts mehr erkennen.
Vielleicht hatte sich ihr Widersacher in diesem friedlichen und doch so entscheidenden Streit schon auf den Weg gemacht. Sie raffte sich endlich auf und stieg mit gemächlichen Schritten den Hügel hinab, bis sie das meterhohe Dickicht erreichte, über das sie bequem zu den oberen Baumwohnungen gelangen konnte.
Eine Gestalt tauchte vor ihr auf. Sie erkannte Cailibi, der seinen ganzen Körper in allen denkbaren Schlammfarben bemalt hatte. Vaichath erkannte kein sinnvolles Muster und vor allem keine dominierende Farbe, wie es eigentlich notwendig war.
Die Körperbemalung war ein wesentlicher Bestandteil der Stimmenimitation. Die Tiermeister benutzten farbigen Schlamm für diesen Zweck, der an vielen Orten zu finden war. Mit den Farben wurde eine Grundstimmung bei den Tieren erzeugt, die entweder eine anlockende oder eine abstoßende Wirkung besaß. Besondere Farbmischungen und Muster sprachen ferner einzelne Tierarten gezielt an. Andere Tiere wieder, wie etwa die zum Wohnungsbau eingesetzten Woodanager, reagierten bevorzugt auf gar keine Bemalung. Generell galt, daß rote Farbtöne Pflanzenfresser abschreckten, Fleischfresser jedoch aggressiv machten und damit anlockten.
Die eigentliche Fähigkeit der Tiermeister bestand aber in der Nachahmung der Stimmen der Tiere.
Vaichath überlegte, was Cailibis Bemalung zu bedeuten hatte. Etwas Ähnliches hatte sie noch nie gesehen. Es fehlte jede Logik in dieser Musterung und Farbzusammenstellung.
Wollte er sie auf eine falsche Fährte führen?
Oder war das am Ende gar wirklich die Bemalung, die ein Waddeldar anlocken und gefügig machen würde?
„Noch können wir miteinander sprechen", stieß Cailibi guttural und kehlig aus. „Aber bald wird sich das ändern."
„Du willst mich einschüchtern." Vaichaths kantiger Echsenschädel ruckte in die Höhe.
Sie entblößte ihr Gebiß. Zwei Reihen messerscharfer
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