1294 - Der kopflose Engel
Stirn, denn sie sprach schnell und hektisch. Nichts deutete auf eine entspannte Unterhaltung hin.
»Stimmt das wirklich?«
»Ja, ja, ja!« Die Antwort bekam sogar ich mit. Danach sprach diese Mabel weiter, bis sie von Jane unterbrochen wurde, und bei diesem Satz spitzte ich die Ohren.
»Natürlich kannst du kommen. Jetzt sofort. Wir werden uns alles anhören. Du störst auch nicht, wenn es für dich so wichtig ist. Wir warten auf dich. Bis gleich dann.«
Jane stellte das Telefon wieder zurück auf die Station. Sehr nachdenklich blieb sie stehen. Ich sah sie von der Seite her an und bekam mit, dass sie an ihrer Unterlippe nagte.
»Wer war es denn?«
Die Detektivin drehte sich langsam um. Der nachdenkliche Ausdruck auf ihrem Gesicht verschwand nicht. Auch das Faltenmuster auf ihrer Stirn blieb bestehen.
»Es war Mabel Denning.«
»Kenne ich nicht.«
»Kannst du auch nicht. Mabel ist eine alte Bekannte von mir. Ich habe ihr mal geholfen, als es ihr schlecht ging. Früher gingen wir zusammen in eine Schule.«
»Und sie kommt jetzt vorbei?«
»Richtig.«
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Hattest du dich nicht auf einen schönen Abend zu zweit gefreut?«
»Der ist vorbei!«
»Weil Mabel kommt.«
»Und weil es ihr schlecht geht.« Jane ging wieder zum Tisch. Sie trank den Rest aus dem Glas, stellte es ab und schaute ins Leere. Mit den Gedanken war sie ganz woanders.
Wenn Jane einen Abend zu zweit sausen ließ, musste es dafür schon wichtige Gründe geben, und auch mir verging allmählich der Humor, denn sie wirkte wie jemand, der ein Problem hatte und damit nicht zurechtkam. Beide Hände legte sie um den Stiel des Glases und drehte es auf dem Tisch.
»Willst du nicht reden?«
»Doch, John, doch«, murmelte sie. »Aber ich möchte erst meine Gedanken ordnen.«
»Das hört sich nicht gut an.«
»Stimmt. Mabel hat Probleme.«
»Müssten die uns angehen?«
Sie schaute mich an. »Ja, das müssten sie. Sogar sehr. Die Sache scheint in unsere Richtung zu tendieren, obwohl die Probleme sehr persönlicher Art sind, wie sie beteuerte.«
»Um was geht es denn?«
Jane hob die Schultern und zeigte ein verständnisloses Gesicht. »Das hat sie auch nicht gesagt. Jedenfalls klang sie nicht eben normal. Etwas muss sie hart getroffen haben.«
»Sie hatte also Angst.«
»Kann man sagen.«
»Wird sie verfolgt? Und wovor hat sie Angst?«
»Das wird sie uns alles erzählen, John. Ich denke, wir sollten darauf verzichten, eine zweite Flasche Wein, anzubrechen. Die Dinge könnten sich anders entwickeln.«
»Bist du mit Wasser einverstanden?«
»In diesem Fall immer.«
»Okay.« Ich stand auf. »Es muss ja nicht immer Alkohol sein«, murmelte ich und ging in die Küche.
Da war es wieder, das berühmte Bauchgefühl. Und es war nicht eben positiv, wenn ich ehrlich sein sollte…
***
Mabel Denning kam. Es war wie ein Auftritt, aber kein guter, denn jeder konnte ihr ansehen, dass ihr schlecht ging. Ihr lockiges Haar war durcheinander. Es klebte am Kopf. Auf den Wangen des leicht puppenhaften Gesichts waren rote Flecken, der kleine Mund war geöffnet, und der Atem drang stoßweise daraus hervor. In den Augen sah ich einen flackernden Blick, und als sie Jane sah, fielen sich die beiden Frauen in die Arme.
Ich stand etwas abseits, schaute und hörte zu. Mabel schloss die Augen, das Zittern ließ nicht nach, obwohl sie erklärte, dass sie ja so froh war, endlich in Sicherheit zu sein.
Das Wort Sicherheit ließ mich aufhorchen. Wer so sprach, der hatte sich in Gefahr befunden, und genau diesen Eindruck machte Mabel Denning auf mich.
Ich war zur Nebensache geworden. Jane kümmerte sich um ihre Freundin und half ihr auch aus dem Mantel, den sie an die Garderobe brachte. Mabel blieb im Zimmer zurück. Sie trug jetzt nur ihre grüne Hose mit den schwarzen Samtstreifen an den Seiten und dazu einen hellen Pullover mit leicht abstehendem Rollkragen. Sie schaute mich an, und ihr Blick wurde nicht freundlicher.
»Ich heiße John Sinclair«, erklärte ich lächelnd, wobei ich auf sie zuging und ihr die Hand entgegenstreckte. »Sie brauchen keine Sorge zu haben, ich bin ein guter Freund von Jane.«
Sie nickte. »Ja, ja, Jane sagte mir schon, dass sie nicht allein ist. Tut mir Leid, dass ich gestört habe, aber ich wusste mir wirklich keinen Rat mehr.«
»Das macht nichts, Mrs. Denning…«
»Bitte, sagen Sie Mabel.«
»Ich heiße John.«
»Und mit Nachnamen Sinclair«, erklärte Jane, die soeben wieder das
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