1299 - Im Garten der ESTARTU
Vorwurf war schon einmal ausgesprochen worden: Wenn du solche Hochachtung vor Sri hattest, warum hast du sie dann bedenkenlos an die Ewigen Krieger verschachert?' Die Frage hing immer noch in der Luft, denn Veth Leburian hatte sich zu keiner Rechtfertigung bequemt.
Demeter hatte die schwelende Auseinandersetzung erstickt, indem sie das Gespräch geschickt auf ESTARTU brachte. Im weiteren Verlauf schlug das Virenschiff vor, ein Schaubild der Mächtigkeitsballung ESTARTU zu erstellen, und aus diesem Anschauungsmodell ging das eigenwillige 3-D-Schach hervor wobei der Begriff „Schach" allerdings sehr großzügig auszulegen war. Als sich die telepathische Stimme vierundzwanzig Stunden später wieder meldete, wurden durch den Inhalt der Botschaft die letzten Zweifel über den Urheber ausgeräumt.
Ihr seid mir schon ganz nahe, und ich muss euch zugute hauen, dass ihr die richtige Geisteshaltung habt, auch wenn sie mir nicht unbedingt schmeichelt. Aber wenn ihr erst einmal Etustar erreicht habt, das Herz meiner Mächtigkeitsballung, dann werden wir gemeinsam die letzten Zweifel ausräumen. Bei intensiver geistiger Beschäftigung miteinander werde ich euch besser verstehen lernen und ihr werdet von der Richtigkeit meiner Handlungsweise überzeugt werden. Wie? Mittels Gehirnwäsche?" hatte Veth Leburian die telepathische Botschaft unterbrochen.
Zu ihrer aller Überraschung hatte ESTARTU geantwortet. Ihr werdet die Bedeutung der MORPHOGENETISCHEN FELDER kennen lernen, die ein Bestandteil der psionischen sind. Sie hatten es nicht erwarten können, bis die nächsten 24 Stunden um waren, denn nach dieser Reaktion der Superintelligenz hatten sie sich beim nächsten Kontakt Chancen auf einen ausführlicheren Dialog erhofft. Aber ESTARTU meldete sich nicht mehr.
Und so ging der fünfte Tag ihrer Irrfahrt durch das dichtgesponnene psionische Netz des Dunklen Himmels monoton seinem Ende zu. „Was für ein Spiel ist das, das EST ARTU mit uns treibt?" fragte Roi und starrte in den holographischen Schachwürfel, als könne er dort die Antwort finden. „Vielleicht wurden wir in dieses Labyrinth gelockt, damit wir nicht mehr herausfinden. Was meinst du, Veth? Wirst du nicht an die Orphischen Labyrinthe erinnert?" Die Antwort des Mlironers bestand aus einem mitleidigen Lächeln. Er hatte es bisher vermieden, über die zweitausendjährige Verbannung in den Orphischen Labyrinthen zu sprechen. Gelegentlich machte er Anspielungen, mal hier eine Andeutung, ein andermal ein Hinweis, nichtssagend und vielbedeutend zugleich. Und in diesem Sinn war auch dieses mitleidige Lächeln beredt: Was wisst ihr schon... Ihr habt keine Ahnung von dieser Hölle...
Aber dann öffnete er den Mund, und es schien, dass er sich zum erstenmal genauer über die Zeit seiner Verbannung äußern wollte. Und dann passierte es - die Strafe folgte auf den Fuß.
Leburians Gesicht wurde schwarz. All die Pünktchen, die sich in den Poren seines Gesichts wie Parasiten festgesetzt hatten, gingen auf wie die Knospen von schwarzen Rosen. In einem einzigen eruptiven Zucken dehnten sie sich aus und vereinten sich miteinander. Die Schwärze verdrängte selbst das Ocker seiner Lippen, sie drang ihm in die Augen und verschlang deren Grün. Sein Körper war zur Bewegungslosigkeit erstarrt, obwohl es schien, als wollten sich Sehnen und Muskeln anspannen und verkrampfen. Aber was in seinem Körper auch vorging, es vermochte nicht nach außen zu dringen, gerade so, als sei er in eine zweite, unsichtbare Haut gepresst, die ihn fest umschloss, eine transparente, stählerne Haut.
Alle schrien durcheinander, gaben sich einen Ruck in Leburians Richtung, zuckten wieder zurück. Die Siganesen umschwirrten ihn mit ihren Antigravs wie Insekten, wagten sich aber nicht an ihn heran. Keiner von ihnen hatte auch nur eine Ahnung von dem, was mit dem Mlironer geschah. „He, Veth!" schrie Roi. „Kannst du mich hören? Kannst du sprechen? Sag, was mit dir los ist!" Der Mlironer wurde plötzlich von einer unsichtbaren Kraft erfasst und durchgeschüttelt. Sein Körper ging auf und nieder, und zwar so schnell, dass das Auge den Bewegungen kaum folgen konnte.
Tekener stand geduckt da. „Vi, kannst du herausfinden, was mit ihm passiert?" fragte er gepresst. Der Mlironer wurde jetzt wie eine der Figuren aus dem 3-D-Schach ortsversetzt. Er wechselte seine Positionen in Sekundenschnelle; und Tekener dachte: ESTARTU hat ihn ins Schachspiel einbezogen. Als könne die BOSCYK seine Gedanken lesen.
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