1299 - Zeit der Bestie
nicht, Suko. Da gibt es einige. Alle sind nur Menschen. Ich habe schon von Kollegen gehört, die während der Nachtschicht ihre Freundin besuchten. Das sind natürlich Ausnahmen, aber so etwas kommt eben immer wieder mal vor.«
»Und hast du mit dem verschwundenen Kollegen schon gesprochen?«, fragte ich.
»Nein, dazu bin ich nicht gekommen. Ich habe ihn nicht verhören können. Die Zeit blieb mir nicht. Er hat Gordon Moore gefunden. Angeblich steht er noch immer unter Schock. Es kann sein, dass der jetzt abgeklungen ist, aber das ließe sich herausfinden.«
»Wie heißt der Mann?«
»Terry McBain, ein Schotte. Mehr weiß ich auch nicht. Er gehört zur Metropolitan Police, und sein Chef ist Captain Donald Harris. Mit ihm hatte ich öfter zu tun. Ich habe ihn allerdings noch nicht auf den Fall angesprochen. Ich wollte erst mit euch reden.«
»Das war wohl besser.«
Tanner zuckte mit den Schultern. »Jetzt seid ihr an der Reihe. Vorausgesetzt, euch reichen die Verdachtsmomente. Meines Erachtens wäre es nicht schlecht, wenn ihr euch dahinterklemmt, wobei ich mir wünsche, dass sich das Ganze als Luftblase herausstellt.«
»Würde uns auch freuen.« Ich war ehrlich.
»Dann sollten wir zunächst mit diesem Terry McBain sprechen«, schlug Suko vor, um Tanner zu fragen: »Weißt du, wo man ihn hingebracht hat? Ist er auch hier im Krankenhaus?«
»Nein. Er ist im Hauptquartier der Metropolitan Police. Ein Arzt hat sich um ihn gekümmert, wie ich hörte.«
»Dann werden wir ihn aufsuchen.« Suko erhob sich als Erster. Tanner und ich folgten ihm.
»Danke, das ist wirklich toll.« Tanner schob seinen Hut wieder zurecht. »Ich habe nicht unbedingt die hundertprozentigen Beweise, aber hier verlasse ich mich auf meinen Riecher, der sich im Laufe der Jahre entwickelt hat. Ich habe einfach das Gefühl, am Anfang zu stehen und einen Faden in der Hand zu halten, an dem ich ziehen muss, um das Knäuel zu entwirren. Da kommt was auf uns zu, denke ich. Hoffe aber, dass ich mich irre.«
Ich war mit meinen Gedanken noch immer bei dem Fall und legte sie jetzt offen. »Gesetzt der Fall, es war tatsächlich ein Werwolf, der Gordon Moore angegriffen hat, dann würde er sich auch in diese Bestie verwandeln. So sind die Regeln. So haben wir es erlebt. Es könnte sein, dass es noch in dieser Nacht passiert.«
Suko war sehr skeptisch. »Nein, John, das kann ich mir nicht vorstellen. Schau ihn dir noch mal an. Der Mann ist verletzt. Sogar schwer verletzt. Ich glaube einfach nicht daran, dass er, so wie er aussieht, sich in diese Bestie verwandelt. Dazu ist er nicht mehr in der Lage. Er ist mehr tot als lebendig. Normalerweise ist es so, dass zunächst ein Biss ausreicht, um den Kern zu transportieren. Das haben wir hier nicht. Er wurde ja beinahe zerfetzt.«
So gesehen stimmte das, was Suko sagte. Aber auch für Werwölfe gab es nicht unbedingt bestimmte Regeln, da hatten wir schon unsere Erfahrungen sammeln können. Es gab immer wieder Variationen.
Und wir hatten auch erlebt, dass sich Werwölfe hinter einer normalen Fassade verstecken konnten.
Das hatten wir erst vor einigen Wochen bei der Mutter der kleinen Caroline erlebt.
Ich verließ vor den beiden Freunden den kleinen Raum. Augenblicklich umgab uns wieder die Stille des nächtlichen Krankenhauses. Ich sah die glatten Wände, das kalte Licht und auch die Ringe unter den Augen einer Nachtschwester, die an uns vorbeieilte und ein Krankenzimmer betrat.
Die Zufahrt der Notaufnahme lag auch in der Nähe. Dort herrschte stets eine gewisse Hektik, aber davon spürten wir hier nichts. Wer in diesem Bereich lag, brauchte Ruhe.
Ich traf auf eine Krankenschwester, die wie ein Wachtposten in einem kleinen Zimmer saß, dessen Tür nicht geschlossen war. Sie kannte uns und stand auf, als wir an der Tür stehen blieben.
»Kann ich helfen?«
»Ja, wir möchten noch einmal nach Gordon Moore schauen.«
Mit einer langsamen Bewegung stand sie auf. Zu sagen brauchte sie nichts, wir wussten, dass etwas passiert war, sonst hätte sie sich anders verhalten.
»Gibt es Probleme?«, fragte ich.
»Ja. Oder auch nicht mehr. Wie ich hörte, ist der Patient vor etwa zwei Minuten verstorben. Man wollte Ihnen noch Bescheid geben, aber Sie waren nicht so schnell zu finden.«
»Danke.«
»Gehen Sie einfach hin.«
Das taten wir. Ich hörte Tanner schwer atmen. Ich sah auch, wie er den Kopf schüttelte. »Ich hatte es mir gedacht, John, aber jetzt, wo es passiert ist, bin ich doch ziemlich
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