1299 - Zeit der Bestie
einem bestimmten Umfeld. Das darf man nicht vergessen.«
»Was meinst du damit?«
Tanner dachte erst nach. Es machte ihm keine Freude, dies war ihm anzusehen. Er runzelte die Stirn, suchte nach Worten und hatte den Anfang schließlich gefunden.
»Es sind die kleinen Vorfälle, die sich gehäuft haben, sage ich mal. Tote gab es nicht, aber Berichte, denen man nachgehen sollte. Manche Kollegen verhielten sich ungewöhnlich. Sie waren sehr schweigsam. Andere wiederum feierten einige Tage krank, weil sie sich verletzt hatten. Es kam nie genau heraus, was da geschehen war. Bis einer redete und davon sprach, dass mehrmals ein großes Tier gesehen worden war. Und das immer in der Nacht, wenn sich die Kollegen auf Streifenfahrt befanden.«
»Hat das Tier einen Angriff gestartet?«
»Ja, so muss es gewesen sein, John. Die Bezeichnung Wolf ist dabei nie direkt gefallen. Die Kollegen sprachen von einem großen Hund, der durch die Gegend stromerte. Ganz ehrlich. Wer denkt bei so etwas schon an einen Wolf? Die wenigsten. Aber ich muss leider zustimmen, wenn ich mir Moores Aussagen vor Augen halte.«
»Das heißt, du bist davon überzeugt, dass wir es hier in London mit einem Werwolf zu tun haben?«
»Bin ich fast, John. Deshalb habe ich euch alarmiert. Ihr kennt mich, früher hätte ich darüber gelacht. Heute ist das anders. Da habt ihr mich leider eines Besseren belehrt. Wehret den Anfängen, heißt es. Und daran möchte ich mich halten.«
Suko und ich schauten uns an. Jeder von uns dachte wohl das Gleiche. Es machte wirklich keinen Spaß, in dieser Eiseskälte und in der Nacht auf Wolfsjagd zu gehen, aber uns blieb nichts anderes übrig, wenn alles so stimmte.
»Was sagen denn die Ärzte?«
»Nichts, John. Sie sind noch nicht dazu gekommen, Moore intensiv zu untersuchen. Ihre wichtigste Aufgabe war es, ihn am Leben zu halten, und das so lange wie möglich. Das haben sie geschafft. Sie werden ihn wohl später erst näher untersuchen können.«
»Was sagst du? Du bist doch länger bei ihm gewesen? Können die Verletzungen auch von einem Hund stammen?«
»Wenn, dann muss er ein verdammt großes Gebiss gehabt haben.« Er zuckte die Achseln. »Es ist alles so eine Sache, und die Dinge sind auch nicht richtig greifbar, was mich ebenfalls ärgert. Aber es liegt was in der Luft, davon gehe ich aus. Ich spüre es. Die Kollegen haben sich nicht alle verändert, aber einige schon. Es kann darauf hindeuten, dass sie Kontakt mit dieser Bestie gehabt haben. Ich sah sehr wohl, dass es darauf hindeuten kann, aber nicht so sein muss. Sie lassen sich nicht aus. Zumindest nicht mir gegenüber. Was sie untereinander besprechen, weiß ich natürlich nicht. Aber nichts ist unmöglich.«
»Klingt nach einer Unterwanderung«, sagte Suko. »Speziell einer Unterwanderung der Polizei durch einen Werwolf oder auch durch mehrere, wenn ich den Extremfall annehme.«
Tanner öffnete seine Augen weit. Es gefiel ihm nicht, was Suko da gesagt hatte, aber er musste die Dinge so nehmen wie sie waren. »Das hört sich natürlich nicht gut an, wenn du von einer Unterwanderung der Polizei sprichst, Suko.«
»Ausgeschlossen ist es nicht.«
»Das ist nichts im Leben.«
»Stimmst du mir zu?«
»Ich befürchte es«, sagte Tanner leise. »Deshalb habe ich euch auch informiert.«
»Okay.« Ich schlug mit der flachen Hand leicht auf den Tisch. »Kommen wir zur Sache.«
»Darauf warte ich.«
»Wie hast du dir das weitere Vorgehen gedacht? Wie weit bist du bereits mit deinen Ermittlungen gekommen? Hast du weitere Spuren gefunden? Gibt es Hinweise und…«
»Nein, nein, keine konkreten, John. Nur eben die Aussagen hinter vorgehaltener Hand.«
»Und das sind Leute aus deiner Mannschaft - oder?«
»Auch nicht. Es sind die normalen Kollegen. Die Streife fahren, die Streife gehen. Ich habe es nur zugetragen bekommen. Gewissermaßen durch Flüsterpropaganda. Es sind die Kollegen von der Metropolitan Police. Ich brauchte hier eigentlich nicht zu sitzen. Der Verletzte gehört nicht zu meiner Mannschaft. Ich habe während meiner Schicht von ihm erfahren und bin hier ins Krankenhaus gefahren.«
»War der Mann denn allein, als ihn das Wesen angriff?«, fragte Suko.
Tanner nickte.
»Wo befand sich sein Kollege?«
»Der war mal eben weg, heißt es.«
»Toll. Und wohin?«
»Offiziell austreten. In einem Schnellimbiss. Das ist ja nicht verboten. Er kann aber auch andere Gründe gehabt haben, seinen Partner allein zu lassen.«
»Welche?«
»Ich weiß es
Weitere Kostenlose Bücher