13 - Im Schatten des Grossherrn 02 - Durchs wilde Kurdistan
Emir in deinem Land?“
„Nicht das, was bei euch ein Emir ist. Bei uns gibt es Emire der Geburt, Emire des Geldes, Emire des Wissens und Emire des Leidens, des Duldens und des Ringens.“
„Zu welchen gehörst du?“
„Zu den letzteren.“
Sie blickte mich lange forschend an; dann fragte sie:
„Bist du reich?“
„Ich bin arm.“
„Arm an Gold und Silber, aber nicht arm an anderen Gütern: denn dein Herz teilt Gaben aus, die andere erfreuen. Ich habe gehört, wie viele Freunde du dir erworben hast, und auch mich hast du beglückt. Warum bleibst du nicht daheim; warum gehst du in fremde Länder? Man sagt, du wanderst, um mit deinen Waffen Taten zu verrichten; aber dies ist nicht wahr, denn die Waffen töten, und du willst den Tod des Nächsten nicht.“
„Marah Durimeh, ich habe noch keinem gesagt, weshalb ich die Heimat immer wieder verlasse: du aber sollst es hören.“
„Weiß es auch in deiner Heimat niemand?“
„Nein. Ich bin dort ein unbekannter, einsamer Mann; aber diese Einsamkeit tut meinem Herzen wohl.“
„Mein Sohn, du bist noch jung. Hat dir Allah bereits solches Leid beschert, daß deine Seele einwärts geht?“
„Das ist es nicht, sondern es ist das, was dich noch leben läßt“, erwiderte ich.
„Erkläre es mir!“ sagte sie.
„Wer in der Wüste schmachtet, der lernt den Wert des Tropfens erkennen, der dem Dürstenden das Leben rettet. Und auf wem das Gewicht des Leides und der Sorge lastet, ohne daß eine Hand sich helfend ihm entgegenstreckte, der weiß, wie köstlich die Liebe ist, nach der er sich vergebens sehnte. Und doch ist mein ganzes Herz erfüllt von dem, was ich nicht fand, von jener Liebe, die den Sohn des Vaters auf die Erde trieb, um ihr die frohe Botschaft zu verkünden, daß alle Menschen Brüder sind und Kinder eines Vaters. Und wie der Heiland aus den Höhen, wohin kein Sterblicher dringen kann, auf die kleine Erde herniederstieg, so gehen nun seine Boten hinaus in alle Welt, um das Evangelium der Liebe zu verkündigen allen, die noch in Finsternis wandeln. Das sind die Emire des Christentums, die Helden des Glaubens, die Meleks der Barmherzigkeit.“
„Aber nicht alle lehren das, was du jetzt gesprochen hast. Es gibt Sendlinge, die die Boten des echten Glaubens verfolgen. Siehe dieses Land an, über dem jetzt die Sonne leuchtet. Dieselbe Sonne hat Tausende hier sterben sehen, und derselbe Fluß, den du hier vor uns erblickst, hat Hunderte von Leichen mit sich fortgerissen. Und warum? Frage die Emire des Glaubens, die dort hinter den Bergen von Karitha und Tura Schina wohnten; frage die Scheiks der christlichen Fürsten, die bei den Statthaltern des Sultans waren und dies alles ruhig geschehen ließen! Hat nicht jeder christliche Sultan und Schah das Recht und die Pflicht, die Christen zu schützen, sie mögen sich befinden, wo es nur immer sei? Ich habe heut um Mitternacht die Christen dieses Tales vom Tod errettet, ich, das Weib; warum haben diese Emire weniger Macht als ich? Einst war ich Meleka; jetzt bin ich nur ein altes Weib; aber dennoch hören Türken, Kurden und Chaldani meine Stimme. Auch ich habe heut um Mitternacht das Christentum verkündet, aber nicht das Christentum des Wortes, über dessen Sinn die Abgefallenen streiten, sondern das Christentum der Tat, daran niemand zweifeln kann. Züchtigt die Bösen, und sie werden es euch später danken, während die Guten, die sich nach Erlösung sehnen, euer Nahen mit Freudigkeit begrüßen werden. Sendet nicht Boten, die wie einzelne Funken im Meer verlöschen, sondern sendet Männer, vor denen sich der Unterdrücker fürchtet; dann werden die Berge jauchzen und die Täler jubilieren; das Land wird Segen bringen zu jeder Zeit, und es wird das Wort von einem Hirten und einer Herde sich erfüllen. Hat nicht dieser eine Hirt bereits seinen Statthalter auf Erden? Warum wendet ihr selbst euch von ihm weg? Kehrt zu ihm zurück; dann seid ihr einig, und die Macht dessen, der euch sendet, wird die Erde zu dem Belad el Kuds (Heiligen Land) machen, in dem Milch und Honig fließt!“
Sie hatte während ihrer Rede sich erhoben. Ihre vorher gebeugte Gestalt stand aufrecht vor mir; in ihren erstorbenen Zügen zeigte sich plötzlich Leben; ihre tief eingesunkenen Augen leuchteten vor Begeisterung, und ihre Stimme erscholl laut und voll, als ob sie zu Tausenden rede. Es war ein Augenblick, den ich nie vergessen werde. Jetzt hielt sie erschöpft inne und setzte sich wieder nieder. Diese Frau mußte viel gesehen
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