1306 - Hexenbalg
zerrte an ihm, weil er ihn von seiner Kehle wegbekommen wollte.
Es klappte nicht. Frisches Blut rann an seinem Hals entlang und färbte die Haut. Wie ein Fisch auf dem Trockenen schnappte er mit offenem Mund nach Luft und verschluckte sich dabei. Seine Augen waren verdreht. Er glotzte ins Leere, als wären schon die Schatten des Todes in seiner Nähe.
Noch immer stand er an der Wand. Er schien sie eindrücken zu wollen. Das war nicht zu schaffen, denn die Kraft verließ seinen Körper, und seine Beine konnten ihn nicht mehr halten.
Er brach ein.
An der Wand entlang rutschte er hinab. Verzweifelt versuchte er noch immer, Luft in seine Lungen zu pumpen. Es gelang ihm nicht mehr. Zurück blieben nur die schlimmen Geräusche, und die kleine Bestie gab nicht auf. Sie bewegte ihr Maul. Ihre spitzen Zähne wollten den gesamten Hals ihres Befreiers durchbeißen. Da war sie ebenso teuflisch wie ein gefährlicher Gremlin.
Thamm wusste, dass er verloren hatte. Er hörte in seinem Kopf ein Brausen und dazwischen die Flüsterstimme der Geisterscheinung.
Was sie sagte, verstand er nicht mehr, denn die Schatten des Todes wurden dichter und dichter…
***
Jane und ich hatten nicht lange zugeschaut. Bereits nach wenigen Sekunden war uns klar, dass der Mann den Kampf gegen diese kleine Bestie nicht gewinnen konnte.
Wir mussten rein und helfen.
Da gab es ein Problem. Es war unsere dicke Kleidung. Zu dick für die Fensteröffnung. Ich wollte darauf zu sprechen kommen, aber Jane war viel flinker als ich. Sie zog sich neben mir die dick gefütterte Jacke aus. Sie fragte mich auch nicht erst, sondern handelte sofort. Es ging alles schnell bei ihr. Sie drückte sich an der äußeren Fensterbank in die Höhe und schlüpfte schlangengleich durch die Öffnung in das Haus.
Bei mir würde es noch dauern, auch wenn ich mich beeilte. Jane hielt alle Vorteile in ihrer Hand, und die bestanden aus einer mit geweihten Silberkugeln geladenen Beretta.
Sie hörte diese Antonia, ich nicht. Aber ich vernahm Janes Antwort: »Ja, ich versuche es…«
Was sie damit meinte, bekam ich zu sehen, als ich mich bemühte, in das Zimmer zu klettern. Jane Collins hatte Theo Thamm erreicht, an dessen Kehle noch immer dieses Wesen hing.
Sie zerrte es nicht ab. Sie tat das einzige Richtung in dieser Situation. Sie setzte die Mündung der Beretta von der Seite her gegen den Kopf und schoss.
Eine Kugel reichte aus, um den Schädel platzen zu lassen. Er wurde regelrecht zerstäubt. Die Reste klatschten gegen die Wand und landeten auf dem Boden. Die spitzen Zähne verloren ihre Kraft, und das Balg rutschte von Theo Thamm nach unten.
Jane trat es weg, was ihr Glück war, denn plötzlich fing das Gebilde Feuer. Die Funken entstanden in seinem Innern. Sie weiteten sich als Flammen aus, die zum Glück auf den Balg konzentriert blieben und kein Holz in Brand steckten.
Ein braungrauer Qualm verbreitete einen widerlichen Geruch, der mir entgegenwehte, als ich mich endlich in die Werkstatt hineingeschoben hatte.
Jane stand da wie zum Appell angetreten. Sie kommunizierte mit Antonias Geist. Beide schienen sich zu verstehen, denn Janes Nicken sah ich sehr deutlich.
Beim Balg verbrannten auch die letzten Reste. Ich wedelte den stinkenden Rauch zur Seite und kümmerte mich um Theo Thamm.
Jetzt trug er keinen Hut mehr. Ich sah die Wunde. Sehr groß und auch sehr blutig. So etwas überlebte kein Mensch. Theo Thamm hatte zu hoch gepokert und das Spiel verloren.
Ich schloss ihm die Augen und richtete mich auf. Jane Collins schien wie aus einer tiefen Trance erwacht zu sein. Jetzt schaute sie nachdenklich zu Boden.
»Soll ich fragen, ob alles in Ordnung ist?«
»Jetzt schon, John.«
»Und wieso?«
Sie seufzte und wischte über ihre Augen. »Ich hatte bis zuletzt Kontakt mit Antonia und kann nun sagen, dass sie mit der Vernichtung ihres Kindes auch die Ruhe gefunden hat, nach der sie so lange suchte.«
»Das hört sich gut an.« Ich wechselte das Thema. »Und wie war das mit dem kleinen Urlaub?«
Jane Collins lächelte. »Zwei Tage würden reichen – oder?«
»Wenn du das sagst, bin ich dabei…«
ENDE
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