0263 - Das gläserne Grauen
Ich blieb an seinen Hinterreifen kleben. Zu dieser nächtlichen Stunde herrschte kaum Betrieb. Ich war bei den Conollys gewesen und hatte mit ihnen einen gemütlichen Abend verbracht - ohne Alkohol.
Momentan führte mich mein Weg an der Themse entlang. Dieser Uferspazierweg war nur sehr schwach beleuchtet.
Nur hin und wieder stand ein gelbliches Auge in der Luft.
Plötzlich sah ich ein anderes Auge.
Ein totes!
Und es bewegte sich nicht weit vom Rand der Fahrbahn entfernt. In einem Bogen fuhr es von oben nach unten.
Ich kannte das Zeichen. Es war kein rotes Auge, sondern die Kelle eines Polizeibeamten.
Kontrolle!
Und der Lancia-Fahrer würde nicht daran vorbeikommen. Ebensowenig wie ich.
Ein schadenfrohes Lächeln umspielte meine Lippen. Sollte der Mann tatsächlich betrunken sein, würden es die Polizisten merken und entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Ich senkte zugleich mit meinem Vordermann die Geschwindigkeit, als die Heckleuchten des Wagens vor mir aufglühten. Der Lancia rollte mit mäßiger Geschwindigkeit an den Straßenrand und wurde abgebremst.
Auch ich mußte stoppen, denn einer der Beamten trat hinter den Lancia und hielt mich an.
Ich ließ den Bentley ausrollen und wartete. Normalerweise ist es so, daß Polizisten, wenn sie Kontrollen durchführten, zu mehreren waren und dabei zwei Wagen gleichzeitig unter die Lupe nehmen konnten. Hier mußte ich warten, denn die Männer kümmerten sich erst einmal um den Lancia, mich ließen sie warten.
Ihr Polizeifahrzeug parkte versteckt hinter dichten Sträuchern auf einem Grünstreifen.
Hoffentlich dauerte die Kontrolle nicht zu lange. Ich hatte keine Lust, großartig zu warten. Mein Bett war mir lieber, und Urlaub hatte ich auch keinen.
Zwei Polizisten waren an den Lancia getreten. Was sie sagten, verstand ich natürlich nicht, allerdings durfte der Fahrer nicht in seinem Wagen sitzenbleiben, er mußte aussteigen.
Die Tür schwang nach außen.
Ein wenig schwerfällig, wie mir schien, verließ der Mann sein Auto. Er schwang zuerst die Beine heraus, hielt sich am Dach fest und zog sich regelrecht in die Höhe.
Dieses Aussteigen ließ darauf schließen, daß der Mann nicht mehr sicher auf den Beinen stand und einiges getrunken hatte. Da kam er den Polizisten gerade recht.
Sie schienen längst bemerkt zu haben, was mit dem Fahrer los war, denn sie faßten ihn unter. Aber das ließ sich der Mann nicht gefallen. Mit einer wütenden Bewegung riß er sich los und schrie die beiden Polizisten so laut an, daß ich alles verstand.
»Dämlicher Bulle«, war das harmloseste Schimpfwort.
Es war nicht die feine Art eines Gentleman. Was die Polizisten danach taten, gehörte sich auch nicht.
Sie packten den Mann, schleuderten ihn herum, und er fiel auf die Kühlerhaube seines Lancia.
Jetzt wurde ich mehr als aufmerksam. Alles, was recht ist, die Polizei steht manchmal unter großem Streß, ich kannte das von mir selbst, doch so zu reagieren, gehörte sich nicht. Das war wider alle Regeln. Jeder Bürger besaß seine freien Rechte, da konnte kein Polizist machen, was er wollte.
Ich stieg aus.
Eingreifen wollte ich nicht direkt, nur die Kollegen ein wenig auf ihr Benehmen hinweisen, doch ich hatte kaum die Tür aufgestoßen, als sich die beiden anderen Polizisten in Bewegung setzten und auf mich zukamen.
Einer mußte wohl mit einem Motorrad gefahren sein. Er hatte einen Helm auf. Das Sichtvisier war hochgeklappt.
Die beiden Männer bauten sich vor mir auf. Sie versperrten mir die Sicht auf ihre Kollegen und den Fahrer des Lancia, und der mit dem Helm erklärte in einem verdammt ruppigen Tonfall: »Sie sind noch nicht dran, Mister, verstanden?«
»Ja.« Ich lächelte, weil ich mich entschlossen hatte, nicht meinen Ausweis zu zeigen, denn ich wollte prüfen, wie sie mit mir umgingen.
»Dann steigen Sie wieder in Ihren Wagen.«
»Gleich«, erwiderte ich ruhig. »Ich will nur wissen, was mit ihm geschehen ist?«
»Mit wem?«
»Mit dem Mann, den Sie dort kontrollieren.«
»Das geht Sie nichts an!«
»Im Prinzip haben Sie recht, nur die Behandlung hat mir nicht gefallen.«
Ich trat einen Schritt zur Seite, um besser sehen zu können, doch sofort versperrte mir der helmlose Polizist die Sicht.
Trotzdem konnte ich etwas erkennen. Heftige Bewegungen, und ein Mann wurde weggeschleift.
Das durfte doch nicht wahr sein. Da schleppten tatsächlich zwei Polizisten einen Verkehrssünder ins Gebüsch. Jetzt hörte bei mir der Spaß auf. »Lassen Sie mich vorbei!«
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