1394 - Die Rachehexe
Trotzdem konnte sie sehen, dass die Klinge dunkel geworden war, und das musste einfach am Blut des Mannes liegen.
Der Gedanke daran ließ sie wieder leise schreien. Ein Zeichen auch, dass die Panik bei ihr zurückkehrte. Es würde schwer sein, wieder in einen normalen Zustand zu gelangen, und schon jetzt drehten sich ihre Gedanken permanent um Flucht.
Sie hatte es geschafft, den starren Körper so weit zurückzuschieben, dass sie besser aufstehen konnte. Bewegungsfreiheit war wichtig, und so nahm sie die Bankkante als Stütze, um wieder in die Höhe zu kommen. Es klappte perfekt, denn sie blieb tatsächlich auf beiden Beinen stehen und schwankte so gut wie nicht.
Hätte sie einen Spiegel zur Hand gehabt, so hätte sie ihr Gesicht sehen können, das praktisch ein Abbild des Schreckens bot. Es sah einfach schlimm aus, denn das Blut hatte sich auf ihren Wangen verteilt. Darum kümmerte sich Cornetta jetzt nicht. Mit hastigen Bewegungen zog sie sich wieder an und blieb neben der leblosen Gestalt zitternd stehen. Ihre Zähne klapperten aufeinander. Sie hatte das Gefühl, in einer Gefriertruhe zu sein, und wenn sie sich bewegte, schmerzten fast alle ihre Glieder.
Beim Aufstehen hatte sie es geschafft und den anderen Körper zur linken Seite gerollt. Sie schaute wie im Zwang auf ihn nieder und sah in seinem Rücken dunkle Flecken, die das ausgelaufene Blut hinterlassen hatte. Dass sie alles genau erkennen konnte, lag daran, dass sie ihre Brille nicht verloren hatte. Sie saß noch immer an ihrem Gesicht fest, wenn auch etwas verrutscht. Das war nicht weiter tragisch, sie konnte trotzdem durch die Gläser schauen.
Der Mann bewegte sich auch weiterhin nicht. Er lag da, sie hörte nichts, und sie drehte sich langsam um, wie ferngelenkt. Das Messer wog plötzlich schwer in ihrer Hand, und sie ließ es fallen. Wie viel Zeit vergangen war und wann der letzte Bus hier halten würde, das konnte sie nicht sagen.
Mit mechanischen Bewegungen trat sie aus dem Wartehaus hervor und direkt hinein in die kalte Luft, die ihr wie ein Eisschauer gegen das Gesicht streute.
Vor ihr lag die Straße. Sie war leer. Ebenso wie der schmale Rand, auf dem sie stand.
Dann blickte sie nach links. Warum sie das tat, wusste sie selbst nicht, aber Cornetta hatte genau richtig gehandelt.
Die Gestalt musste neben oder hinter dem Häuschen gewartet haben. Sie löste sich aus dem Versteck, während Cornetta in diesem Moment an die Stimme dachte, die sie gehört hatte.
Vor ihr stand ein Mensch, eine Frau, die sie ansprach und dabei zugleich lobte.
»Das hast du sehr gut gemacht, Cornetta…«
***
Die Frau befand sich in einer Situation, in der sie zunächst mal an nichts denken konnte. Sie glaubte, geteilt worden zu sein. Vor ihr stand jemand, der ihr schon mal einen Rat gegeben hatte. Da hatte sie nur die Stimme gehört, jetzt aber sah sie die Person.
Wirklich eine Frau?
Sie schob ihre Brille noch höher und gab ihr einen besseren Sitz.
Aber auch das reichte nicht aus, um noch mehr zu sehen. Da veränderte sich nichts. Sie sah die einsame Frau, die so etwas wie eine Kutte oder einen langen Mantel trug, der bis zum Boden reichte und so aussah, als würde er über ihren Knöcheln schweben. Unter dem Hals war dieses Kleidungsstück eng geschlossen. Nach unten hin lief es wie ein breiter Trichter zu, sodass die Schuhe kaum zu sehen waren.
Die unbekannte Frau stand in der Kälte wie eine Figur. Ihre Arme waren nicht zu sehen, auch sie wurden vom Stoff des Kleidungsstücks bedeckt.
Cornetta hatte die fremde Person nie zuvor in ihrem Leben gesehen. Trotzdem war sie davon überzeugt, ihre Lebensretterin zu sehen, aber sie fühlte sich trotzdem nicht wohl, denn sie wusste nicht, wie sie die Person ansprechen sollte. Neugierde und Furcht breiteten sich aus, aber sie sah trotz der Dunkelheit, dass die fremde Person lächelte, und genau das gab ihr so etwas wie Vertrauen.
»Komm mit. Man sollte uns hier nicht zusammen sehen.«
»Und dann?«
»Wir haben zu reden.«
Cornetta nickte, ohne dass sie es richtig ernst meinte. Sie hob dann die Schultern und merkte, dass sie wieder in den normalen Zustand zurückglitt.
Ihr fiel zudem auf, dass die andere Person ihren Namen kannte, und deshalb riss sie sich zusammen und fragte mit leiser Stimme auch nach dem Namen der Fremden.
»Ich heiße Assunga…«
***
Cornetta Schibone sagte in den folgenden Sekunden nichts. Sie dachte über den Namen nach, der so außergewöhnlich war. Ihn auszusprechen, klang fast
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