1409 - Der Kopf des Zwillings
er sich und griff zu Boden. Er holte eine Aktentasche hervor und fragte: »Soll ich sie öffnen?«
»Nein!«, antwortete ich. »Es ist besser, wenn wir wieder zurück ins Haus gehen.«
»Gut.«
Ich schaute mir die Tasche an, die Lester in der rechten Hand trug.
Sie beulte sich an beiden Seiten aus. Der Kopf musste schon seine entsprechende Größe haben.
Burt Lester hatte noch immer ein blasses Gesicht, als er an uns vorbeiging und wieder das Haus betrat. Er tat es fast schon fluchtartig, wie jemand, der Sicherheit sucht.
Wieder gingen wir in den Wintergarten, und hier zeigte sich Lester erleichtert. Er hatte die Tasche auf einer Sitzbank abgestellt und atmete tief durch.
»Jetzt ist es mir wohler.«
Ich lächelte ihm zu. »Darf ich?«
»Sicher, die Tasche gehört Ihnen. Ich möchte mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben.«
Das konnte ich gut verstehen. Auch Helen Lester hielt sich zurück.
Suko und ich besahen uns die Tasche und stellten beide nichts Ungewöhnliches fest.
»Dann wollen wir mal«, sagte ich. Es war leicht. Ich brauchte nur die beiden Verschlüsse zu öffnen, dann konnte ich das überlappende Teil anheben.
Die Spannung hielt uns alle erfasst. Das Ehepaar Lester wartete im Hintergrund. Die beiden hielten sich an den Händen.
Wenig später war die Tasche offen. Schon beim ersten flüchtigen Blick stellte ich fest, dass der Holzfäller nicht gelogen hatte. In der Tasche steckte tatsächlich der Kopf, und er bestand aus Glas, zumindest aus einem Material, das dem ähnelte.
Ich griff mit beiden Händen in die Tasche und umfasste den Kopf an beiden Seiten. Da ich nicht wusste, welche Dicke das Glas hatte, ging ich behutsam zu Werk. Schon bald merkte ich, dass der Kopf recht schwer war. Burt Lester hatte nicht grundlos von Kristall gesprochen, und das traf hier wohl zu.
Suko hielt die Tasche fest, damit ich den Kopf problemlos herausziehen konnte. Danach setzte ich ihn neben die Tasche auf die Bank.
Wir hörten die scharf geflüsterten Worte der Künstlerin. »Meine Güte, das ist ja wirklich ein Glaskopf.«
»Was hast du denn gedacht, Helen? Dass ich fantasiere?«
»Sorry, aber ich habe es bis jetzt kaum glauben können.«
Suko und ich kümmerten uns nicht um die Kommentare. Wir nahmen den Kristallschädel optisch unter die Lupe und stellten zunächst einmal fest, dass er nicht so durchsichtig war, wie wir es angenommen hatten. Im Innern zeigten sich Schlieren, da ballte sich etwas zusammen, das wie Watte aussah.
Ich wurde für einen Moment an den Würfel meines Templer-Freundes Godwin de Salier erinnert, aber dieser Gedanke verschwand sehr schnell wieder. Schon öfter hatten wir es mit geheimnisvollen Köpfen zu tun gehabt. Wir kannten lebende und fliegende Schädel, aber einer aus Glas war uns bisher noch nicht untergekommen.
»Und?«, fragte Suko leise.
»Ungewöhnlich.«
»Meine ich auch.«
Die Lesters hatten ihre Scheu überwunden und traten näher. Der Blick des Mannes zeigte eine gewisse Abwehr. Der seiner Frau nicht, bei ihr überwog die Neugierde.
»Der ist einmalig«, sagte sie. »Ich… ähm … könnte mir vorstellen, dass er ein Kunstwerk ist.«
»Nicht schlecht gedacht«, sagte ich.
»Nur – wer hat es hergestellt?«
Ich hob die Schultern.
»Eine Antwort kann ich auch nicht geben«, sagte Burt Lester. »Ich habe ihn nur gefunden.«
»Ja«, murmelte sein Frau, »und dieser Zwerg oder dieses Kind – wie auch immer – wollte ihn haben.«
Auch jetzt, da dieser Kristallkopf frei lag, gab er uns Rätsel auf, die zu lösen waren. Es war wichtig, dass man ihn untersuchte. Das war hier nicht der richtige Ort, da mussten Experten ran, aber ich wollte schon einen ersten Test durchführen. Dabei dachte ich natürlich an mein Kreuz, das unter der Kleidung verborgen vor meiner Brust hing und bisher noch keine Reaktion gezeigt hatte.
Zunächst wollte ich den Schädel testen. Dazu legte ich beide Hände auf die Kopf und konzentrierte mich. Ich schloss sogar die Augen, um durch nichts abgelenkt zu werden, und was ich nach wenigen Sekunden spürte, war keine Einbildung. Für mich war der Schädel kein normaler Gegenstand, denn etwas steckte in ihm. Es war eine gewisse Vibration zu spüren, wie ein leises Summen, das mir anzeigte, dass Leben in ihm steckte.
Einen Kontakt wie Godwin zu seinem Würfel bekam, den konnte ich hier nicht erreichen, aber etwas war da schon: Vibrationen, vielleicht ein leises Summen, so genau bekam ich es nicht in die Reihe.
»Was spürst du,
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