1410 - Mallmanns Blut-Bräute
öffnete sie den Mund, und Linus Hill sah zum ersten Mal in seinem noch jungen Leben eine echte Blutsaugerin mit zwei langen kräftigen und spitzen Zähnen, dem Markenzeichen der Vampire…
***
Justine verschloss den Mund wieder. »Du hast es gesehen, Linus?«
»Habe ich.«
»Dann weißt du jetzt, dass ich dich nicht angelogen habe. Es ist kein Kunstgebiss, die beiden Vampirzähne sind echt, und sie haben sie schon in manchen Hals gebohrt. Doch davor brauchst du dich nicht zu fürchten, wir beide sind inzwischen Partner geworden, nicht wahr?«
Linus wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Er fand einfach keine Worte mehr. Er nahm diesen Satz einfach hin und musste schlucken.
»Ich möchte weg«, flüsterte er und gab diesmal seinem Gefühl nach.
»Wohin?«
»Wieder nach Hause.«
Justine nickte. »Gut, das kann ich verstehen. Auch mir würde es an deiner Stelle nicht anders ergehen. Ich kann dir aber nur sagen, dass du auch bei deinen Eltern nicht sicher bist.«
»Warum nicht?«
Die blonde Bestie deutete ein Kopfschütteln an. »Niemand ist ab dieser Nacht mehr sicher hier in Tegryn. Damit musst du dich abfinden. Aber du bist der Einzige, der sich auskennt. Du weißt Bescheid und kannst dich darauf einstellen.«
»Wie denn?«
»Das ist ganz einfach. Öffne niemandem die Tür. Sei auf der Hut…«
»Kann ich denn mit meinen Eltern darüber reden?«
Die Cavallo antwortete mit einer Gegenfrage. »Würden sie es denn begreifen?«
»Nein, ich denke nicht.«
»Dann behalte dein Wissen für dich.«
»Ja, das werde ich.« Der Junge merkte, dass er anfing zu frieren. Er stand auf. Er schaute in den Nebel und schüttelte den Kopf. »Ich will hier weg.«
»Das kann ich verstehen. Und du brauchst dich nicht zu fürchten. Ich bringe dich nach Hause.«
»Ja, das ist super.« Er kämpfte noch mit einer Frage und brachte sie schließlich hervor. »Kannst du mir sagen, was mit der Leiche im Wassertrog passiert?«
»Ich werde sie dort liegen lassen.«
»Was?« Er schnappte nach Luft. »Aber…«
»Kein Aber. Ich kenne keinen besseren Ort. Es wird wohl bei diesem Wetter kaum jemand ein Grab besuchen, um die Blumen zu begießen. Erst wenn alles vorbei ist, dann… Na ja, dann sehen wir weiter.«
Linus war klar, dass er hier nichts zu bestimmten hatte. Er musste alles dieser Justine überlassen. Sie kam ihm vor, als befände sie sich ständig auf dem Sprung. Er sah auch ihre Augen, die sich bewegten, als würden sie nach etwas Bestimmtem suchen. Etwas an dieser Ruhe schien sie zu stören.
Er flüsterte: »Was hast du?«
»Ich weiß nicht, Junge, aber es könnte sein, dass wir gleich Besuch bekommen.«
»Von wem?«
»Von meinen drei Freundinnen. Mallmanns Bräute sind nicht dumm.«
Die letzte Bemerkung hatte der Junge nicht verstanden. Er fragte auch nicht weiter nach und ließ es zu, dass Justine seine linke Hand nahm.
»Du bleibst jetzt dicht an meiner Seite. Es ist besser so.«
»Klar.«
Jetzt war wieder das Zittern in seiner Stimme. Linus ließ die Hand nicht los, als er mit Justine über den neuen Teil des Friedhofs ging.
Hier gab es die sehr hohen Grabsteine nicht und deshalb auch weniger Verstecke. Auch wuchsen hier keine hohen Sträucher oder Büsche, die einigermaßen Schutz boten.
»Wo könnten sie denn sein?«, flüsterte Linus.
»Ich kann es dir nicht sagen, Junge. Wir werden sehen, aber du brauchst keine Angst zu haben.«
Linus schwieg. Das sagte sich alles so leicht. Ihm kam die Lage noch immer vor, als würde er sich mitten in einem Traum befinden und darauf warten, dass er wieder erwachte.
Nichts passierte. Es war auch kein Traum. Nach wie vor spürte er die Nebelnässe auf seiner Gesichtshaut, als er neben der Blutsaugerin herging und ihre Hand an seiner spürte. Ihre war weder kalt noch warm, einfach neutral.
Ein scharfes Lachen ließ sie beide stoppen. Wie ein böses Echo war es aus dem Nebel gedrungen, und eine Frau hatte dieses Lachen ausgestoßen. Oder auch zwei, denn der Nebel konnte die Töne leicht verzerren.
»Das sind sie, nicht?«
Justine nickte.
»Und jetzt?«
»Behalten wir die Ruhe, Junge.«
Linus schloss die Augen. Er bekam einen Schauer nach dem anderen. Wäre er allein gewesen, bei Gott, er wäre so schnell gelaufen wie noch nie in seinem Leben, um den Blutsaugerinnen zu entkommen.
Doch er war nicht allein. Er musste sich dem fügen, was diese andere Person verlangte, die noch immer seine Hand umklammert hielt.
Linus schrak zusammen, als Justine in die
Weitere Kostenlose Bücher