1410 - Mallmanns Blut-Bräute
und schuf aus den Grabsteinen unheimliche Gestalten, die aus dem Jenseits gekommen zu sein schienen.
Linus hatte scharf nachgedacht. Er nickte jetzt und flüsterte:
»Wenn das alles so stimmt, was du gesagt hast, dann… dann gibt es hier nicht nur einen Vampir, sondern noch einen zweiten. Der hat dann das Blut aus den Adern des Wirts gesaugt. Habe ich da richtig gefolgert?«
»Das hast du, mein kleiner Freund. Es gibt noch andere Vampire hier.«
»Wieso Vampire?« Diesmal hatte er sehr schnell geschaltet.
»Drei!«
»Nein!«
»Doch, ich lüge nicht. Euer Ort steht dicht davor, zu einem Dorf der Blutsauger zu werden. Und der Wirt ist das erste Opfer gewesen. Er wäre erwacht, er hätte Durst nach Blut verspürt, und er hätte sich sehr schnell das nächste Opfer geholt, um es leer zu saugen. Das wäre dann der Beginn einer Kettenreaktion gewesen. Wenn du viel gelesen hast, dann wirst du sicherlich wissen, was ich damit meine.«
Linus hatte viel gelesen, und er musste der blonden Frau leider zustimmen. Er blickte Justine von der Seite an. »Stimmt das wirklich alles?«
»Warum sollte ich lügen?«, fragte sie. »Jedes Wort, das ich dir gesagt habe, stimmt.«
»Andere Vampire?«, flüsterte er.
»Genau drei. Drei Frauen.«
Linus schwieg. Er musste erst mal nachdenken und flüsterte nach einer Weile: »Sind… sind … sie hier aus Tegryn?«
»Ja und nein. Sie lebten mal hier. Sie heißen Dolores, Mira und Roxy. Man hat sie damals aus dem Ort gejagt, aber sie sind zurückgekommen, um sich zu rächen.«
Der Junge nickte. »Drei Vampire«, flüsterte er dann. »Mit dir sind es sogar vier.«
»Das stimmt.«
»Deine Freundinnen, nicht?«
»Nein, das sind sie nicht. Sie hätten es sein können, aber damals haben sie mir meine Beute weggenommen und mich gedemütigt, und das habe ich nicht vergessen.«
»Wann war das denn?«
»Es ist eine alte Geschichte. In der Nähe gibt es einen See. Dort haben wir…«
»Ja, da weiß ich!«, rief der Junge. »Man erzählt sich hier im Ort davon. Man fand einen Toten und sogar dessen herausgerissenes Herz. Es muss schlimm gewesen sein.«
»Der tote Mann war ein Vampir. Ich habe ihm dieses Dasein genommen. Aber sein Blut wurde von diesem Trio getrunken, und bei eurem Bahnhofswirt haben sie das Gleiche getan. Sie sind also wieder da, und diesmal werden sie sich nicht so leicht vertreiben lassen. Aber sie haben nicht mit mir gerechnet und auch nicht damit, dass ich die alte Rechnung mit ihnen begleichen will.«
Linus Hill hatte begriffen, aber es war ihm alles noch irgendwie viel zu fremd. Als er Justine anschaute, verzog er den Mund. »Dann willst du gegen sie kämpfen?«
»Deshalb bin ich gekommen. Und ich kam mit dem Zug, denn ich wollte möglichst unauffällig hier erscheinen.«
»Aber brauchst du nicht auch Blut?« Nach dieser Frage packte ihn wieder die Furcht.
»Davon ernähre ich mich. Aber ich habe gelernt, meinen Durst zu zügeln.« Sie lachte scharf auf. »Du kannst davon ausgehen, dass ich unter den Vampiren eine Sonderstellung einnehme, aber im Prinzip hast du Recht. Doch du musst keine Angst haben, dass ich dein Blut trinken werde, obwohl es schon reizvoll wäre.«
»Bitte, ich…«
Sie legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. »He, bleib sitzen. Ich habe ganz andere Dinge im Sinn. Ich muss mit der Vergangenheit aufräumen. Ich kann diese Demütigung nicht auf mich sitzen lassen, und es ist auch gut, dass wir uns getroffen haben, Kleiner.«
»Wieso ist das gut?«
»Ganz einfach. Ich stehe hier allein, aber ich brauche einen Verbündeten im Ort.«
»Soll ich das sein?«
Justine lachte. »Aber sicher, Linus. Das sollst du nicht nur sein, das bist du schon.«
Der Junge war durcheinander. Er hatte wirklich Probleme, sich auf die neue Lage einzustellen. Er starrte sie an, und sein Blick zeigte all die Unsicherheit, die er verspürte.
»Ich soll mit einer Vampirin… ich meine … mit einer echten Blutsaugerin zusammen …?«
»Warum nicht?«
Linus stöhnte auf. Er dachte wieder an seine Bücher, in denen die Helden so große Abenteuer erlebten. Und nun passierte ihm das Gleiche mit einer Person, die zwar wie ein Mensch aussah, aber wohl keiner war, obgleich er den Beweis noch nicht bekommen hatte und Justine Cavallo deshalb misstrauisch anschaute.
»Ich weiß, was du denkst, Linus.«
»Wieso?«
»Ich werde es dir zeigen!«
Nicht nötig! Nicht nötig!, wollte er sagen, doch er bekam kein Wort über die Lippen.
Justine lächelte ihn an. Dabei
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