1410 - Mallmanns Blut-Bräute
die Menschen nicht sah. Sie waren zu riechen. Ihr Lebenssaft sandte den Geruch ab, der auch von irgendwelchen Mauern nicht aufgehalten werden konnte. Und der Geruch erregte sie. Justine war kein normale Mensch. Sie gehörte auf die andere Seite, sie ernährte sich von dem, was die Menschen antrieb und so einmalig machte, aber sie war zugleich eine besondere Wiedergängerin. Sie lebte nicht für sich allein. Irgendwie fühlte sie sich trotz allem eingebunden in eine Gemeinschaft, und gerade jetzt stellte sie ihre eigenen Interessen hinten an.
Man hatte ihr einmal eine Beute geraubt, und das hatte sie nicht vergessen. Jetzt war die Zeit der Abrechnung gekommen. Wenn es nach ihren Plänen ging, würde sie jede von Mallmanns Bräuten zur Hölle schicken, denn erst dann war sie zufrieden.
Gut eine Stunde brauchte sie, um den Ort zu durchstreifen. Während dieser Zeit hatten sich die anderen drei Blutweiber nicht blicken lassen und sich auch nicht gemeldet. Justine nahm es einfach als ein gutes Zeichen hin und rechnete damit, dass in der vor ihr liegenden Nacht noch nichts geschehen würde.
Aber es gab noch eine nächste und übernächste. Da sahen die Dinge dann anders aus, ganz anders.
Es wunderte sie fast selbst, als sie plötzlich wieder den Bahnhof aus dem Nebel auftauchen sah. Ob der letzte Zug schon eingelaufen war, darauf hatte sie nicht geachtet. Sie empfand es zudem nicht als wichtig, denn der Zufall oder das Schicksal hatte sie genau an den richtigen Ort getrieben. Jetzt wusste sie, wo sie die Nacht verbringen wollte.
In der Wohnung des toten Terence Dalton…
***
Mal saß er im Bett, mal lag er.
Linus Hill konnte einfach keinen Schlaf finden, was auch völlig normal war. Die Erlebnisse hatten ihn einfach zu stark aufgewühlt.
Für einen Zwölfjährigen war dies normalerweise zu viel, da hätte er auch leicht durchdrehen können.
Dass dieser Zustand bei Linus nicht eintrat, musste daran liegen, dass er eben viel über diese Wesen der Nacht gelesen hatte, und dazu gehörten nicht nur die Vampire.
In seinem Zimmer hatte sich Linus immer sicher gefühlt. Es war so etwas wie ein Hort für ihn gewesen, aber das traf in dieser frühen Nacht nicht mehr zu. Zwar lag er im Bett, aber die Sicherheit fand er nicht, und er hatte auch das Licht brennen lassen. Nicht das der Deckenleuchte, sondern die krumme Banane, die an seinem Bett stand.
Die Glotze hatte er nicht eingeschaltet, es lief auch keine Musik. Linus saß im Bett und schaute gegen das Fenster, das er jetzt fest geschlossen hatte, obwohl Glas kein Hindernis für Vampire war.
Hinter der Scheibe wallte und bewegte sich der Nebel. Es sah aus, als würde eine unzählige Schar von Geistern an seinem Fenster vorbeiziehen. Ein Strom aus dem Reich der Toten, der einfach nicht abriss.
Der Junge schaute hin, aber er schaute auch ins Leere. Sein Kopf steckte voller Gedanken und war trotzdem leer. Nur als leise gegen die Tür geklopft wurde, zuckte Linus zusammen.
Wenig später betrat seine Mutter das Zimmer.
»He, du schläfst noch nicht?«
Linus musste sich unheimlich zusammenreißen, damit seine Mutter nichts merkte, denn sie hatte leider einen guten Blick für gewisse Dinge.
»Nein, ich schlafe noch nicht. Ich bin auch nicht müde.«
Mrs. Hill schaute sich verwundert um. »Keine Glotze an, keine Musik? Du bist doch nicht etwa krank?«
»Nee. Ich schaue mir den Nebel an, der am Fenster vorbeizieht. Dass er so dicht werden würde, damit habe ich nicht gerechnet.«
»Das ist nicht das erste Mal. Im Frühling und im Herbst passiert so etwas leicht.« Mrs. Hill trat an das Fenster. Sie stützte ihre Hände auf die Innenbank. »Man kann wirklich nicht viel sehen. Ich hoffe, dass er sich morgen wieder zurückzieht.«
»Haben sie denn was gesagt?«
Sie nickte, ohne sich umzudrehen. »Im Wetterbericht sagten sie, dass sich der Nebel nicht lange halten würde. Mal sehen, ob das so eintritt.«
»Da bin ich auch mal gespannt.«
Mrs. Hill drehte sich wieder um. »Willst noch etwas trinken? Wasser oder einen Saft?«
»Nein, ich… ich … bin wohl auch müde.«
Neben seinem Bett stehend lächelte sie auf ihn nieder. »Okay, dann schlaf gut.«
»Du auch, Mum.«
Sie hauchte ihrem Sohn noch einen Kuss auf die Stirn, was ein Zwölfjähriger nun gar nicht mehr wollte, aber dabei blieb es auch, und sie die verließ das Zimmer.
Der Junge ließ sich wieder zurücksinken. Er lächelte jetzt. Seine Mutter hatte nichts bemerkt, und das war gut so. Da konnte er sich
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