154 - Die Macht der Nosfera
verhindern, dass die Sonne wieder wächst!«
Seine Worte schlugen wie eine Bombe ein. All jene, die noch kurz zu vor geraunt hatten, schrien nun durcheinander.
Erzvater ließ seine Hand sinken. »Verrat!«, brüllte er.
»Solche Worte besudeln Murrnaus Ansehen! Packt den Frevler und werft ihn in den Blutturm! Ihn und alle, die sich nicht augenblicklich von ihm lossagen!«
Die Gardisten verstummten, doch statt den Befehl ihres Oberhauptes auszuführen, blieben sie verunsichert stehen.
»Hört ihr nicht, was ich sage!«, hob Erzvater erneut mit einer Stimme an, die so klang, als würde ihm der Geifer aus den Mundwinkeln tropfen. Doch seine Worte verpufften.
Keiner der Gardisten bewegte sich.
Erzvater stützte sich schwer auf seinen Eichenstab und sah in die Runde, bis sein Befehlshaber endlich einen Schritt vortrat.
»Aber Eure Heiligkeit«, begann er, mit Entsetzen in der Stimme. »Die Prophezeiung des Zirkels hat sich erfüllt, so wie der Sohn der Finsternis die Zeit verhindert hat, in der die Sonne wieder wächst. Befehlt Ihr uns, die Prophezeiung zu leugnen?«
Unter der roten Kapuze drang ein trockenes Krächzen hervor.
Selbst aus der Entfernung war deutlich zu sehen, wie Erzvater nach einer Antwort rang, aber nichts anderes als gepresste Luft hervorbrachte. Wahrscheinlich hätte er gerne erklärt, dass Wladovs Prophezeiungen nur auf erlauschten Kontakten beruhten, genauso wie Maddrax' Ankunft oder die Pläne, das globale Klima zu verändern. Aber dann hätte er eingestehen müssen, dass er selbst nicht an Murrnaus Macht und den Ursprung ihrer eigenen Religion glaubte.
Navok, der um diesen Umstand wusste, lachte leise vor sich hin. »Hat er sich endlich in seinem eigenen Lügengespinst verfangen«, triumphierte er.
»Du sprichst die Wahrheit«, wandte sich Radek inzwischen an den Führer der Leibgardisten. »Murrnau sandte uns heim, als lebendes Beispiel für das zukünftige Moska. Er wünscht, dass sich Nosfera und Menschen von nun an gleichwertig gegenüberstehen. Wer dem widerspricht, der muss seinen Platz räumen!«
»Räumen? Ich? Was fällt dir ein?!« Erzvaters Stimme kippte über. Und in seiner Verzweiflung beging er seinen größten Fehler: Er ließ die Maske fallen! »Mein Wort ist Gesetz!«, kreischte er. »Es steht über dem Murrnaus! Ihr müsst mir gehorchen!«
Entsetzen erfüllte den Raum. Eine atemlose Stille, die Radek brach:
»In den Blutturm mit ihm!«, befahl er seinen Gefährten.
Sofort eilten drei von ihnen los, um Erzvater festzusetzen. Die Leibgardisten sahen sich nur unschlüssig an, ohne einzugreifen. Erzvaters Versuch, sich mit dem Eichenstab zu wehren, schlug ebenfalls fehl.
So endete seine Ära tatsächlich vor aller Augen, indem man ihn ins Verlies zerrte. Zu all jenen, die dort auf einen gewaltsamen Aderlass warteten.
***
Epilog
Es war nicht leicht, die von Erzvater hinterlassene Lücke zu füllen. Viele hielten Radek für den geeigneten Mann, einen Neuanfang zu wagen, andere monierten, er wäre für dieses Amt zu jung. Schließlich einigten sich die Ältesten auf ein ehemaliges Ordensmitglied, das schon vor lange Zeit durch seine kritische Haltung aufgefallen war. Es handelte sich um den Mann, der Erzvater einst das Augenlicht genommen und danach viele Jahre in der Fremde verbracht hatte.
Um Navok.
Mr. Black beobachtete wohl wollend, wie sich Navok zuerst gegen das angetragene Amt wehrte und es schließlich doch annahm, in dem Wissen, dass er nur so sicherstellen konnte, dass in Moska nie wieder die alten Verhältnisse einkehrten.
Doch er stand auch nicht allein. All die heimgekehrten Technos und Bluttempler, die in den Monaten des gemeinsamen Überlebenskampfes zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengewachsen waren, trugen mit ihren Berichten und ihrem weiteren Verhalten dazu bei, das Verhältnis zwischen Menschen und Mutanten zu entspannen.
Im Mai des Jahres 2522, als Ruland wieder grün und warm war, machte sich Mr. Black mit seinen verbliebenen Running Men – Mr. Collyn Hacker und Miss Kareen Hardy – auf, einen Weg zurück nach Meeraka zu finden.
Aber das ist eine andere Geschichte.
ENDE
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