154 - Schloß der tausend Schrecken
mache mir große Sorgen um meine Tochter«, sagte sie, und ein düsterer Schatten legte sich über ihre großen Augen.
***
Der Ghoul zerrte die Leiche an sich vorbei und schob sie dann ächzend vor sich her. Als sie sich in der unterirdischen Aushöhlung befand, legte der Leichenfresser eine Verschnaufpause ein. Geifer tropfte ihm aus dem Maul.
Laut schmatzend starrte er auf das Mädchen, und seine Natur versuchte ihn zu verleiten, doch er hielt sich zurück. Er würde sich ein andermal sättigen.
Fürs erste wollte er seine Beute nur in Sicherheit wissen.
Auch er hatte – wie viele andere – von Gaddol, dem Oberghoul, gehört, der eines Tages kommen und allen Ghouls zu Achtung und Ansehen verhelfen würde.
Man munkelte, daß Gaddol sich auf seine Aufgabe sehr gründlich vorbereitete und den besten Zeitpunkt abwartete. Wo er sich befand, wußte niemand.
Es stand nur fest, daß er die Ghoulsippen zusammenschließen wollte, denn Einigkeit macht stark, und Stärke kann Macht sein, wenn man sie richtig einsetzt.
Alle Ghouls warteten mit wachsender Ungeduld auf diese Erlösung. Gaddol würde mit ihnen aufsteigen. Sie würden nicht länger das Letzte in der Hölle sein. Kein anderer Dämon würde es mehr wagen, vor einem von ihnen verächtlich auszuspucken. Ihr Wort würde Gewicht haben. Sie würden wichtige Dinge mitentscheiden.
Lange Zeit hatten sie davon nicht einmal zu träumen gewagt, doch nun wußten sie, daß dieser Tag kommen würde.
Wann? Das wußte nur Gaddol, dem sie alle blind vertrauten.
Gierig leckte sich der Ghoul über die wulstigen Lippen. Erde klebte an seinem schleimigen Schädel. Er zog sich von dem toten Mädchen zurück und fing an, seine Hände wie Baggerschaufeln einzusetzen.
Er schob das Erdreich vor sich her, schuf einen Wall, hinter dem die Mädchenleiche verschwand, drückte den Wall immer höher, bis er zur Wand wurde.
Äußerst gewissenhaft verschloß der Ghoul die Höhle, damit niemand seine Beute fand, denn er war hier nicht der einzige Leichenfresser…
***
»Bestimmt werden Sie denken, daß ich keine gute Mutter bin«, sagte Bette Cruise und griff nach der Sonnenbrille, die auf dem Tisch lag. Sie setzte sie auf. »Entschuldigen Sie, aber meine Augen sind sehr empfindlich.«
»Warum nehmen Sie an, daß ich so über Sie denke?« fragte ich.
»Weil es alle tun, warum sollten Sie eine Ausnahme sein? Ich liebe Flo, aber ich kann es nicht so wie andere Mütter zeigen. Ich bin sehr nüchtern und praktisch veranlagt, und ich habe immer viel zu tun. Aber ich sorge stets dafür, daß es meiner Tochter an nichts fehlt, und ich lasse ihr soviel Freiheit wie möglich.«
Mit anderen Worten: Sie kümmern sich zuwenig um Florence, dachte ich.
Bettes Mund wurde schmal. »Flo macht es mir nicht leicht, Mr. Ballard. Sie kapselt sich völlig von mir ab. Ich hätte große Pläne mit ihr, doch sie will nichts davon wissen. Ich verkörpere für sie all das, was sie niemals werden möchte. CRUISE-ATOM, ein Firmenimperium, könnte eines Tages ihr gehören, doch sie will es nicht. Statt dessen zieht sie mit Atomgegnern durch die Stadt und demonstriert mit Transparenten gegen ihre Mutter. Verstehen Sie das? Ohne Kernenergie kann die heutige Wirtschaft nicht mehr existieren. Jeder vernünftige Mensch weiß das, aber meine Tochter sieht es nicht ein.«
Florence Cruise wurde mir sympathisch, denn ich dachte ähnlich wie sie. Natürlich war mir klar, daß man nicht auf einen Schlag alle Atomkraftwerke schließen konnte, aber ich war dafür, daß man keine neuen mehr baute und die alten so bald wie möglich schloß.
Aber darüber wollte ich mit Bette Cruise nicht diskutieren, denn das war nicht der Grund für meinen Besuch, und wir wären dabei ohnedies auf keinen grünen Zweig gekommen.
»Immer wieder sperrt man Flo ein, und meine Anwälte holen sie raus«, klagte Bette. »Manchmal kommt es mir so vor, als würden sich ihre Demonstrationen tatsächlich vor allem gegen mich richten. Wenn ich sie zur Rede stelle, wird fast immer ein Streit daraus. Dann schreit und tobt sie hier wie eine Verrückte, und anschließend rast sie mit ihrem Wagen davon und läßt ein paar Tage nichts von sich hören.«
Ich nahm an, daß es kürzlich wieder zu einer solchen Auseinandersetzung zwischen Mutter und Tochter gekommen war.
Bette Cruise nahm die Sonnenbrille ab und schaute mich ernst an.
»Ich mache mir große Sorgen um Flo, Mr. Ballard. Diesmal jedoch aus einem anderen Grund.«
Ich wußte bisher nicht, daß
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