155 - Briana - Tochter Irlands - Langan, Ruth
sein, dass es tatsächlich mein Kind und nicht das meines Vaters war. Aber ich nahm sie als mein leibliches Kind an. Und dann nahm sich mein Vater das Leben.“
„Lieber Gott!“ Briana stöhnte. Das alles war mehr, als sie im Leben ertragen konnte. Das Grauen wurde immer größer, je mehr Schichten seines Vorlebens Keane vor ihr abtrug.
„Als ich sie zuletzt sah, war Alana ein bildschönes Kleinkind mit den liebreizenden Zügen ihrer Mutter und dem dichten schwarzen Haar, das sie von ihren O’Mara-Vorfahren geerbt hatte.“
„Was heißt das? Wird ihre Mutter nicht mit ihr hierher nach Carrick kommen?“
„Ihre Mutter ist tot.“ Keane sprach vollkommen ohne jegliche Gefühlsregung. Seine Stimme klang hart und unbeteiligt.
Tot! Briana dachte an die unterschwellige Traurigkeit, die sie bei Keane schon so oft gespürt hatte. Es wunderte sie nicht mehr, dass er bisher nicht über sich und seine Vergangenheit gesprochen hatte. Es tat einfach zu weh.
Als ob Keane entschlossen war, auch noch die dunkelsten Seiten seines Charakters hervorzuzerren, fuhr er in dem gleichen monotonen Tonfall wie zuvor fort: „Das Kind lebt bei seinen Großeltern auf einem wunderschönen, riesigen Besitz außerhalb Londons. Ich gab ihnen Alana, weil ich ihnen ihre Tochter genommen hatte. Sie ließen keine Gelegenheit aus, mich immer und immer wieder daran zu erinnern.“
„Du … du hast Victoria umgebracht?“, stieß Briana entsetzt hervor.
„Meine Verstrickungen mit der irischen Politik waren die Ursache für ihren Tod. Ich wurde dabei erwischt, wie ich Informationen an einen irischen Mittelsmann weitergab. Victoria wartete in einer Kutsche auf mich. Meine Angreifer töteten sie und lockten mich dann in einen Hinterhalt. Ich hatte nicht so viel Glück wie Victoria. Ich muss weiterleben.“
„Du wolltest ebenfalls sterben?“
„Ja, ich hasste mein Leben. Ich hasste mich selbst und alles, was mein Leben verkörperte. Ich fürchtete weder Tod noch Teufel, und das machte mich zu einem gefährlichen Gegner und exzellenten Spion.“
„Und …“ Briana wagte kaum, ihm die nächste Frage zu stellen. „Und willst du immer noch sterben?“
Keane brauchte lange, bis er ihr eine Antwort gab. Doch schließlich drehte er sich zu ihr um und sagte: „Nein, ich habe schließlich und endlich einen Grund gefunden, weiterzuleben. Aber ich weiß, dass ich diesen Grund nicht verdient habe. Ich verdiene dich nicht, Briana.“
„Ist das der Grund, warum du mir all diese Dinge erzählst? Weil du mich nicht verdient hast?“
„Ja.“ Er trat zu ihr und schaute in ihr liebreizendes Gesicht. In Briana erkannte er all den Schmerz und die Verwirrung, die er ihr mit seinen Worten angetan hatte. „Du bist die wunderbarste Frau, die mir je begegnet ist, Briana“, erklärte er inbrünstig. „Viel zu gut für ein Monster wie mich. Ich hätte dir diese Dinge schon vor langer Zeit erzählen sollen, aber ich war zu feige dazu. Nun kannst du auch noch den Begriff Feigling zu den anderen Beschreibungen meines Charakters hinzufügen.“
Brianas Tonfall war so leer wie ihr Herz. Es war alles zu viel für sie. Sie konnte überhaupt nicht mehr klar denken. „Und nachdem ich nun alles weiß“, entgegnete sie, „kannst du mir auch noch verraten, was ich deiner Meinung nach jetzt tun sollte.“
„Ich erwarte, dass du schnellstmöglich die Heimreise nach Ballinarin antreten willst. Ich werde dafür sorgen, dass du in aller Frühe abreisen kannst.“ Keane griff nach dem Krug mit dem Ale und seinem Trinkbecher und bewegte sich in Richtung Tür. Er hatte vor, sich in den wenigen verbleibenden Stunden bis zum Morgengrauen sinnlos zu betrinken.
Briana blieb zurück mit Gedanken, die so grau und trostlos waren wie die dunklen Wolken, die sich am Morgenhimmel zusammenbrauten.
Sie stand auf dem Balkon und schaute versonnen zu, wie der Morgen allmählich die Schatten der Nacht vertrieb. Stundenlang war Briana ruhelos durch die Räumlichkeiten gewandert und hatte über all die furchtbaren Dinge nachgegrübelt, die Keane ihr aus seiner Vergangenheit offenbart hatte.
Sie hätte alles darum gegeben, niemals von den Ereignissen erfahren zu haben. Sie zog die Unwissenheit dem Schmerz und der Enttäuschung, die ihr Herz in eisiger Umklammerung hielten, bei weitem vor. Ihr war so elend zumute, dass sie glaubte, dieser Schmerz würde niemals mehr vergehen.
Eine Ehefrau, dachte sie und ballte die Hände, doch damit nicht genug. Eine Ehefrau, die zuvor die
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