156 - In den Katakomben von St. George
konnte trauriger dreinschauen als Warten Chamberlain. Alles, was das Leben an Schmerz zu bieten hatte, schien er zu kennen. Er litt mit jedem, der ihm kam. Takt und Pietät waren seine Stärke. Daß alles nur geheuchelt war, hätte wohl niemand für möglich gehalten.
In einem Raum, zu dem niemand außer ihm Zutritt hatte, gab es hinter einer sorgsam verschlossenen Tür eine kleine Nische, in der sich ein schwarzer Altar befand.
Teufelsbilder hingen dort, die Chamberlain inbrünstig anbetete. Asmodis war für ihn das absolut höchste Wesen, und er wünschte sich nichts sehnlicher, als ihm einmal persönlich begegnen zu dürfen. Dafür hätte Chamberlain alles getan.
Jede Prüfung hätte er bestanden, jeden Dienst, selbst den schrecklichsten, hätte er dem hochverehrten Höllenfürsten erwiesen. Er war ein durch und durch schlechter Mensch, und er war stolz darauf, denn nur solche Menschen hatten eine Chance, Asmodis irgendwann einmal als Gast in ihrem Haus begrüßen zu dürfen.
Sein Doppelleben machte ihm Spaß. Es bereitete ihm größtes Vergnügen, seine Mitmenschen zu täuschen. Falschheit, Verlogenheit und Tücke waren Attribute, die er mit großem Eifer an sein Banner geheftet hatte.
Schwarze Kerzen brannten auf dem Altar, und Warren Chamberlain war in sein Gebet vertieft. Er hatte den Eindruck, daß er im Reich der Verdammnis gehört wurde.
Einmal die Hölle sehen - nicht erst nach dem Tod - er hätte viel darum gegeben. Sie sollte von einer geradezu phantastischen Vielschichtigkeit sein. Unvorstellbares sollte dort zu sehen sein, Teufel, Hexen, alle Arten von Dämonen. Ein großer Traum wäre für Chamberlain in Erfüllung gegangen, wenn Asmodis ihm sein Reich gezeigt hätte, aber da erhoffte er sich wahrscheinlich zuviel.
Nach dem Gebet fühlte er sich stark und ausgeglichen. Er löschte die Kerzen und schloß die Tür vor dem Altar ab. Niemand wußte davon, keiner durfte ihn jemals sehen.
Chamberlain wohnte über seinem Beerdigungsunternehmen. Als er sich nach oben begeben wollte, klopfte jemand.
Er begab sich zur Tür, setzte seine scheinheilige Miene auf und öffnete. Vor ihm stand ein großer, kräftiger Mann, jung, aggressiv, mit dunklen Augen, in denen ein gefährliches Feuer zu lodern schien.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte Chamberlain freundlich. »Es ist schon spät… Ich wollte mich soeben zur Ruhe begeben.«
»Warren Chamberlain?« fragte der Mann mit energischer, gebieterischer Stimme.
»Ja, der bin ich. Mir gehört dieses Institut. Darf ich fragen, wer Sie sind, Sir?«
»Ich bin Loxagon, der Sohn des Teufels.«
***
Bei dieser Eröffnung zuckte Warren Chamberlain wie unter einem Peitschenschlag zusammen. Sein Blick huschte an dem jungen Mann mißtrauisch auf und ab. Nahm der Kerl ihn auf den Arm? War durchgesickert, daß er das Böse anbetete und Asmodis als seinen Gott ansah? Wollte der Fremde sich über ihn lustig machen? Er wußte nichts von einem Teufelssohn, hörte den Namen Loxagon zum erstenmal.
»Was führt Sie zu mir?« fragte Chamberlain spröde.
»Ich möchte, daß du mir hilfst«, sagte Loxagon.
»Wobei?«
»Das erfährst du später. Laß mich ein.«
»Ich entsinne mich nicht, Ihnen gestattet zu haben, mich zu duzen«, sagte Warren Chamberlain leicht verschnupft.
»Laß mich ein!« verlangte Loxagon ungeduldig.
Er sah nicht aus wie der Sohn des Teufels, trug unauffällige Kleidung und wirkte wie ein gut trainierter Zehnkämpfer. Sein Gesicht hatte einen wölfischen Ausdruck, das Haar war dicht und dunkel.
Chamberlain überlegte blitzschnell. Der Mann ließ sich mit Sicherheit nicht abweisen. Chamberlain wollte jedes Aufsehen vermeiden, deshalb war es ratsam, die Tür freizugeben.
Stell ihn auf die Probe, riet ihm eine innere Stimme. Wenn er tatsächlich der Sohn des Teufels ist, wird er sich zu helfen wissen. Wenn nicht… Wie wäre es, wenn du Asmodis ein Menschenopfer bringen würdest? Blut festigt die Bande zur Hölle. Du würdest damit dem Bösen ein Stück näherrücken.
»Na schön«, sagte Warren Chamberlain und trat zurück. »Ich bin neugierig, was du mir zu erzählen hast, Loxagon. Das war doch der Name, nicht wahr?«
Loxagon antwortete nicht. Er betrat das Bestattungsinstitut, und Chamberlain begab sich mit ihm ins Sarglager, das gleichzeitig auch eine Tischlerei war.
Die meisten Särge bezog Chamberlain von einer Fabrik, die sich auf die Produktion von Totenkisten spezialisiert hatte. Nur Spezialanfertigungen wurden hier gemacht. Oder wenn
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