1560 - Ahnenfluch
sollten dafür sorgen, dass alles reibungslos klappte.
Beide waren mehr als verwundert darüber gewesen, dass man sie für diesen Job nach New York gelockt hatte, aber sie hatten auch nicht ablehnen können. Man hatte ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich gemacht, alles bezahlt, und für den Rückflug war ebenfalls alles in die Wege geleitet worden.
Der Sarg mit dem Toten würde sich mit ihnen an Bord des Flugzeugs befinden. In London wollte ihn dann eine Delegation aus der entfernten Verwandtschaft in Empfang nehmen.
Natürlich waren Shao und Suko darüber verwundert gewesen, dass Hai King gerade in London beerdigt werden wollte. Aber auch dafür hatte es eine Erklärung gegeben.
Der Verstorbene hatte seine Jugend in der Stadt an der Themse verbracht und diese nie vergessen. So sahen es seine Verwandten als ganz natürlich an, dass er in London begraben werden wollte.
Suko hob die Schultern.
»Mein ungutes Gefühl kann nur mit Hai King zusammenhängen.«
Sie nickte.
»Was weißt du eigentlich über ihn?«
»Nicht viel, leider. Er war hier in New York ein mächtiger Mann. Seine Beziehungen reichten rund um die Welt. Über seine Geschäfte weiß ich nicht sehr viel. Er hat gehandelt und war auch Miteigentümer einer asiatischen Bank.«
»Dann war er wahrscheinlich ein Multimillionär. Aber weißt du auch, wie er gestorben ist?«
Suko schüttelte den Kopf. »Nein, das weiß ich nicht. Wir wissen nur, dass er nicht mehr lebt. Selbst haben wir ihn ja nicht mehr lebend erlebt. Bei der Trauerfeier war nur sein übergroßes Bild vorhanden, das ist alles gewesen. Mir stößt im Nachhinein schon seltsam auf, dass man uns die Leiche nicht zeigen wollte. Okay, ich habe es akzeptiert und wollte keine Unruhe stiften. Ungewöhnlich ist es schon.«
»Und deswegen dein seltsames Gefühl?«
Suko lächelte. »Ja. Wenn sein Ableben kein natürlicher Tod war, wobei ich noch nicht von einer Ermordung sprechen will, sondern - ach, ich weiß es auch nicht, wirklich nicht.«
Shao strich über seinen Nacken und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.
»Müssen wir uns wirklich Sorgen deswegen machen? Lohnt es sich denn, dass wir uns wegen irgendwelcher Theorien oder Gedanken die Nacht um die Ohren schlagen?«
»Im Prinzip nicht.«
»Wunderbar, Suko. Dann sollten wir uns wieder hinlegen und zu schlafen versuchen. Heute ist schon morgen, und uns steht ein langer Flug bevor.«
»Ja, du hast recht.« Suko lachte. »Ich wäre trotzdem froh, wenn ich schon in London wäre.«
»Ich auch.«
Sie drehten sich um und gingen zurück in den Schlafraum, wo das Doppelbett auf sie wartete. Shao wälzte sich in Sukos Hälfte und küsste ihn.
»Ich denke, dass alles gut werden wird und wir uns zu viele Gedanken machen.«
»Das hoffe ich.«
»Dann schlaf gut. Und wenn es nur ein paar Stunden sind.«
»Du sagst es, Shao…«
***
War es Schlaf oder war es nur ein Schlummern? Sie bewegten sich oft, sie drehten sich von einer Seite zur anderen. Es war ein unruhiger Schlaf, als würden beide Albträume erleben.
Wie viel Zeit vergangen war, bis beide plötzlich erwachten, wusste im ersten Moment keiner von ihnen zu sagen, aber beide waren plötzlich hellwach und blieben auch nicht mehr liegen. Sie richteten sich fast synchron auf.
Sie sagten nichts. Ihre Augen waren geöffnet, und sie sahen auch etwas.
War es das Zimmer?
Sie konnten keine Antwort darauf geben, weil sie sich nicht dazu in der Lage fühlten. Etwas hatte sich auf ihre Körper gelegt wie ein schweres Gewicht, das ihnen jeden Bewegungsspielraum nahm.
Shao und Suko schauten nach vorn, und das Schlafzimmer war plötzlich zu einer dreidimensionalen Leinwand geworden.
Und es hatte sich noch etwas verändert. Es gab nicht mehr die normale Dunkelheit, denn es war ein Licht entstanden, das mit seiner grünen Farbe alles überdeckte. Es leuchtete jede Ecke aus, und in dieser grünen Welt bewegten sich schattenhafte Gestalten, die ein unheimliches Aussehen hatten.
Menschliche Monster mit halb verwesten Köpfen und Körpern. Schreckliche Fratzen. Dämonisch und grauenvoll. Rote Augen, Finger als Krallen. Geister, die aus einer unbekannten Hölle entwichen waren und jetzt durch das Zimmer schwebten wie böse Parasiten, die sich irgendwo einnisten wollten.
Aufgerissene Mäuler mit scharfen Gebissen, über die lange und klebrige Zungen fuhren. Alles Wesen, wie sie nur in Albträumen entstehen konnten, umkreisten innerhalb des Zimmers einen Gegenstand, der dicht über dem Boden
Weitere Kostenlose Bücher